Identitätspolitik

Wofür steht der Begriff „Identitätspolitik"?

Kastner & Susemichel (2019): Zur Geschichte linker Identitätspolitik

1. „Linke Identitätspolitik ist in der Regel eine Reaktion auf Diskriminierung“
Identitätskonstruktionen sind in ihrer Gleichzeitigkeit von Selbstermächtigung und Unterdrückung zu verstehen.
Sie basieren auf gewaltvollen Zuschreibungen. Die Identitätszuschreibung kann selbstermächtigend angenommen und dabei eigenständig und neu definiert werden.
Identitätskonstruktionen müssen jedoch in ihrer angenommenen Selbstverständlichkeit hinterfragbar bleiben.

2. Identitätspolitik ist nicht nur die Frage von „Minderheiten“
Beispiele sind die Bewegungen von Arbeiter:innen, Schwarzen Menschen und Frauen

Van Dyk (2019): Identitätspolitik gegen ihre Kritik gelesen

Identitätspolitik ist eine emanzipatorische Bewegung, die aufzeigt, dass die Interessen von weißen, heterosexuellen, gesunden cis-Männern gesellschaftlich normiert werden.
Damit werden:
1. Diese Interessen sie als das Natürliche dargestellt
2. Menschen mit anderen Interessen unsichtbar und zur Abweichung gemacht
3. Privilegien unsichtbar, weil sie als selbstverständlich betrachtet werden

Lia Becker (2018): New Queens on the block

Identitäts- und Klassenpolitik müssen zusammen und intersektional gedacht werden
Trans* Menschen sind von intersektionalen Diskriminierung betroffen,
werden jedoch in identitätspolitischen Diskussionen um Klasse und „feministischer“ Politik ausgeschlossen.
„Wessen (Gewalt-)Erfahrungen sichtbar werden, wessen Probleme als gesellschaftlich relevante anerkannt werden
und wessen Leben als staatlich schützenswert gilt“ ist durch die gesellschaftliche Zentrierung weißer, heterosexueller cis-Männer der Mittelklasse determiniert

Forderung von Becker (2018) und van Dyk (2019)

Das Ziel von Identitätspolitik sollte ein Zusammenschluss von Menschen sein, die gemeinsam als politisches Subjekt auftreten
Solidarischer Zusammenschluss ist notwendig, damit marginalisierte Menschen politische Handlungsfähigkeit erlangen können.
Dafür muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass gemeinsame Interessen bestehen.
Dies muss nicht auf essentialisierenden Zuordnungen zu Gruppen basieren, sondern auf der Anerkennung von unterschiedlichen Erfahrungen und der gemeinsamen Absage an Dominanz.

Kritik an Identitätspolitik: Rechte Argumentationslinien dekonstruieren

Jordan Peterson: „Identitätspolitik ist eine fundamental anti-westliche Idee“

Äußerung zur Bill C-16: Verankerung von Geschlechteridentität und -ausdruck im Menschenrecht (Kanada)

https://www.youtube.com/watch?v=s_UbmaZQx74

Welche Argumente verwendet Peterson?

Wie lassen sich seine Argumente (mithilfe der Texte von Becker (2018) und van Dyk (2019)) einordnen?

1. “It’s one thing to put limits on what a person CAN’T say like say with hate speech laws which I
also don’t agree with”
→ Freiheit ist kein Nullsummenspiel.

2. “To compel me to use a certain content when I am formulating my thoughts or my actions under
threat of legislative action I felt no, not with me. What the government has introduced there is
compelled speech legislation into the private sphere. Never happened in the history of English common law”
→ Diese Aussage ist unwahr und zeigt seine weiß-zentrierte Perspektive. Schwarzen Menschen
wurde im Zuge des Kolonialismus verboten, ihre Muttersprachen zu sprechen.

3. “There’s all these pronouns that have come up there’s seventy different sets of pronouns
approximately, to hypothetically describe people who don’t fit anywhere on the gender
spectrum which is also something that I don’t understand conceptionally”
→ Es hab queere Menschen schon immer, es handelt sich nicht um ein „neues Phänomen“.
→ Argumente 2 und 3 implizieren zudem, dass queere Menschen in seinem Bedeutungssystem
keine Relevanz haben. Daran wird deutlich, dass seine Weltsicht von einer cisnormativen
Perspektive geprägt ist.

4. “You’re playing this radical collectivist left wing game. You’re trying to gain linguistic supremacy
in the area of public discourse”
5. “What exactly is it that you’re doing when you’re asking me to use those words. Are you
compelling me to play your particular ideological game? Or is this actually a matter of some
personal identity that’s important to you […] Is this just a narcissistic power play?”
→ Ein Ziel von Identitätspoltik ist, sprachliche Repräsentation im öffentlichen Diskurs herzustellen –
für Subjekte unter Gleichen.
→ Zudem zeigt sich eine argumentative Umkehrung, bei welcher Peterson sich trotz seines
Stellenwerts als weißer, heterosexueller cis-Mann als Opfer darstellt.

Das Problem der Essentialisierung

Stuart Hall: Identitätspolitik ersten und zweiten Grades
1. Grad: „Konstituierung einer defensiven kollektiven Identität“ als Reaktion auf die Unsichtbarmachung im Diskurs
2. Grad: Dekonstruktion von Essentialisierung durch Anerkennung der Heterogenität von Erfahrungen und Interessen

Identitätspolitik der deutschen Bundesregierung

…ein Blick in den Koalitionsvertrag https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

Familienrecht: S. 80*
Gleichstellung: S.91f.*
Vielfalt: S. 93-96 (queeres Leben: S. 95*)
*aktualisierte Seitenzahlen

Welche politischen Interessen werden durch die Gesetzesentwürfe gestärkt?

Welche Identitätspolitik wird erkenntlich? Wessen Interessen dominieren den politischen Diskurs?

Zum Abschluss: Transformative Gerechtigkeit

Wie können wir zum Abbau von Dominanzkultur beitragen?

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