Konsumgesellschaft (Baudrillard)

Jean Baudrillard legt in seiner Analyse der Konsumgesellschaft einen Beitrag vor, der zum einen die Konzeptionen Galbraiths kritisiert und erweitert, und zum anderen die marxistische Perspektive nach der Kritik der politischen Ökonomie einbindet. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Zeichenebene.

Baudrillards Kritik

Kritik am Überfluss-Gedanken

Baudrillard kritisiert, vornehmlich an John K. Galbraiths Konzept der Überflussgesellschaft, das es weder so etwas wie eine „Überflussgesellschaft“ noch eine „Mangelgesellschaft“ jemals gegeben habe. Vielmehr betrachtet Baudrillard strukturellen Überfluss und Mangel als Merkmal jeder Gesellschaft, an dem sie sich behauptet. Die Behauptung, dass Wirtschaftswachstum zu Überfluss führe, weist er zurück. Ungleichheit hingegen habe ihre Wurzeln weitestgehend im Wachstum und reproduziere sich dadurch. Somit wird Wachstum eine „Funktion der Ungleichheit“ (Baudrillard 2015: 79).

Weiter kritisiert Baudrillard die Ansicht Galbraiths, dass Armut und Ungleichheit verschwunden seien. Er stellt hingegen klar, dass sie sich verlagerten und in neuen Kriterien wie zum Beispiel Arbeit, Verantwortlichkeit, Bildung und Kulturteilhabe manifestierten. In dieser Konsequenz entablierten sich Rechte auf etwas, wie beispielsweise das Recht auf Lebensraum. Für Baudrillard offenbart sich in der Notwendigkeit eines solchen „Rechts auf …“ die Knappheit des Gutes. Denn, so Baudrillard, wäre das Gut im Überfluss vorhanden, so bräuchte man es nicht rechtlich garantieren. Vielmehr habe sich jedoch auch gezeigt, dass bestimmte (öffentliche) Güter wie Natur, Raum und saubere Luft zu Luxusartikeln für Privilegierte würden. Somit zeige sich der Konsum als Klasseninstitution: Nicht alle hätten dieselbe Objekte oder die Möglichkeit über die Objekte ihrer Umwelt zu verfügen.

„[A]uf einer tieferen Ebene existiert eine radikale Aufspaltung in dem Sinne, dass nur einige wenige die autonome, rationale Logik der Elemente ihrer Umwelt beherrschen […]: Diese Personen haben es nicht mit Objekten zu tun und »konsumieren« auch nicht im eigentlichen Sinne – während sich alle anderen einer magischen Ökonomie hingeben, in der sie die Objekte als solche und auch den ganzen Rest (an Ideen, Muße, Wissen, Kultur) als Objekte wertschätzen: Diese fetischistische Logik ist genau die Ideologie des Konsums“ (Baudrillard 2015: 88).

Baudrillard fährt fort, dass die (Konsum)Objekte somit Status stimulierten und zu Fetischen würden. Jedes „Heil“, das durch Objekte erlangt werde, sei somit lediglich Klassenheil.

Im sozialen Prozess des Konsums sieht Baudrillard weiter zwei bedeutsame Aspekte:

  1. Einen Prozess von Signifikation und Kommunikation.
  2. Einen Prozess der sozialen Klassifizierung und Differenzierung.

Er legt in diesem Zusammenhang dar, dass das Konsumobjekt nie in seinem Gebrauchswert konsumiert werde, sondern stets als Zeichen. Somit gelte es als Mittel zur Differenzierung (Baudrillard 2015: 90).

Aus diesen Ausführungen schließt Baudrillard, dass die Gesellschaft im Überfluss der Gegensatz einer Wachstumsgesellschaft sei. In letzterer gibt es nur Bedürfnisse des Wachstums, wodurch den Gesellschaftsmitgliedern aberkannt wird, selbst Bedürfnisse zu generieren, die keine Bedürfnisse des Wachstums sind.

Kritik an Galbraith

Baudrillards Kritik ist primär eine Kritik an den grundlegenden Prämissen von Galbraith. Er sieht dabei vor allem einen Fehler bei der Darstellung der Bedürfnisse. Galbraiths Annahme eines harmonischen Gleichgewichts der Bedürfnisbefriedigung sei utopisch:

„Aus Sicht von Galbraith lassen sich die Bedürfnisse stabilisieren. In der Natur des Menschen sei so etwas wie ein ökonomisches Prinzip wirksam, das ihn, wären da nicht die »künstlichen Beschleuniger« [soll heißen: die Prozesse der Bedürnisgenerierung], dazu treiben würde, seine Ziele, seine Bedürfnisse wie gleichzeitig auch seinen Kraftaufwand in Schranken zu halten. Kurzum also eine Tendenz zu einer nicht maximalen, sondern »harmonischen«, auf individueller Ebene ausgewogenen Bedürfnisbefriedigung, die, statt im oben beschriebenen Teufelskreis der exzessiven Gratifikationen gefangen zu bleiben, in eine ebenfalls harmonische soziale Organisation der kollektiven Bedürfnisse einzubinden wäre. Das Ganze ist völlig utopisch“ (Baudrillard 2015: 107).

Somit kritisiert Baudrillard zugleich auch Galbraiths anthropologischen Annahmen. Genauso weißt Baudrillard zurück, dass es zwischen der Befriedigung „künstlicher“ und „authentischer“ Bedürfnisse einen qualitativen Unterschied gebe: „Vom Standpunkt des Konsumenten und seiner eigenen Bedürfnisbefriedigung lässt sich […] keine Grenze zum »Unechten« oder »Künstlichen« ziehen. Er erlebt den Genuss des Fernsehens oder seiner Zweitwohnung als »wahre« Freiheit“ (Baudrillard 2015: 107). Weiterhin habe Galbraith übersehen, dass es sich beim Prozess des Konsums schließlich auch um soziale Differenzierung handele. Baudrillard argumentiert, dass die philippinischen Arbeiter*innen (ein Beispiel Galbraiths) sich nicht nur aus der bequemlichen Natur heraus zum Konsum entschieden, sondern in der Hoffnung sozialen Status und somit Differenzierung zu erwerben (Baudrillard 2015: 108). Schließlich wirft Baudrillard Galbraith einen psychologischen Reduktionismus vor, der sich darin manifestiere, dass Galbraith den Willen zum Konsum, der durch Werbestrategien erst geweckt würde, an Objekte knüpft. Baudrillard entgegnet:

„Es ist hinlänglich bekannt, dass sich die Konsumenten derart eindeutigen Vorgaben widersetzen, wie sie mit ihren »Bedürfnissen« auf der Tastatur der Objekte spielen, dass die Werbung eben nicht allmächtig ist und mitunter sogar gegensätzliche Reaktionen hervorruft, wie ein Gegenstand einen anderen in Bezug auf dasselbe »Bedürfnis« substituieren kann usw. Kurzum, auf empirischer Ebene durchquert eine ganze komplizierte Strategie psychologischer und soziologischer Art diejenige der Produktion“ (Baudrillard 2015: 109).

Und er schließt:

„Es ist also nicht richtig, dass die Bedürfnisse Ergebnis der Produktion sind, vielmehr ist DAS SYSTEM DER BEDÜRFNISSE DAS PRODUKT DES PRODUKTIONSSYSTEMS. […] Wenn wir vom System der Bedürfnisse sprechen, meinen wir damit nicht, dass letztere im Verhältnis eins zu eins zu den entsprechenden Objekten, sondern dass sie als Konsumtivkraft produziert werden“ (Baudrillard 2015: 109; Herv.i.O.).

Somit betont er nocheinmal, dass Galbraith bei seiner Analyse und Kritik das System und die Ordnung des Konsums übersehe.

Theorie des Konsums

Die Anlage für Baudrillard Theorie des Konsums findet sich bereits in Das System der Dinge. Dort stellt Baudrillard fest, dass Ding über sich hinaus auf ein System der Signifikationen verweisen. Somit ist das System der Dinge korrekterweise kein System der Dinge, sondern vielmehr der Bedeutungen, die diese Dinge einnehmen. Auf der Basis dieser kulturellen Signifikationen weist Baudrillard den Objekten einen Zeichenwert zu, welcher maßgebend für den Konsum ist. Bereits hier stellt Baudrillard fest, dass es nicht die Objekte per se sind, die Ziel des Konsums sind, sondern vielmehr die damit verbundenen Signifikationen. Diese würden vor allem mit Hilfe der Werbung produziert.

Im Hauptwerk seiner Konsumtheorie Die Konsumgesellschaft baut Baudrillard die Objektbedeutungen diesbezüglich noch weiter aus. Baudrillard stellt dabei explizit fest, dass das Verlangen nach den Objekten objektlos sei (Baudrillard 2015: 114). Ganz im Sinne von Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute (Orig. The Theory of the leisure class) hebt Baudrillard hervor, dass es beim Erwerb von Objekten um den Gewinn von Status, Prestige und sozialer Differenzierung gehe (s.o.).

Das System der Konsumgesellschaft besteht nach Baudrillard schließlich daraus, dass die Produktionsordnung Produkte erzeugt, die in ihrem Zeichenwert, die Möglichkeit sozialer Differenzierung böten und die in dieser Hoffnung wohlwollend vom*von der Konsument*in aufgenommen würden. Die Bedürfnisse würden somit nicht geschaffen, sondern folgten der Zeichenlogik, der Logik zu Distinktion. Genuss habe in diesem System keinen Platz mehr: er wird vielmehr beim Prozess des Konsumierens ausgeklammert (Baudrillard 2015: 114). Gleichzeitig sei in der Konsumgesellschaft der Genusszwang nur zu präsent: Hinter dem, was Baudrillard die Fun-Morality nennt, versteckt sich die angebliche Angst vor dem Verpassen einer Attraktion. Die allumfassende Neugier, so Baudrillard, die „auflebt in Sachen Kochen, Kultur, Wissenschaft, Religion, Sexualität usw.“ (Baudrillard 2015: 117), sei die Folge des Konsum-Menschen, für den Genuss zur obersten Pflicht würde. Er begreift sich „als jemand, der genießen muss, als ein Unternehmen des Genusses und der Befriedigung, mit der Pflicht, glücklich, verliebt, schmeichelnd/geschmeichelt, verführerisch/verführt, teilnehmend, euphorisch und dynamisch zu sein“ (Baudrillard 2015: 117). Somit offenbare sich in der Konsumgesellschaft die Arbeit als Arbeit am Glück, denn der Anspruch glücklich zu sein, der quasi zur Pflicht wird, dürfe nicht fallengelassen werden (Baudrillard 2015: 117).

Die Systeme der Konsumgesellschaft, von Produktion und Bedürfnissen integrieren somit die Gesellschaft und stabilisieren sie bei Baudrillard. Gleichzeitig aber wirke der Konsum atomisierend, da er nicht der kollektive Konsum einer Gruppe, sondern vielmehr individuell auf der Ebene des*der Einzelnen sei. Daher schließt Baudrillard eine solidarisierende Wirkung (wie bspw. bei der klassischen Ausbeutung der Arbeit) genauso wie ein Klassenbewusstsein aus:

„Die Ausbeutung ist die von allen. Indem er konsumiert, wird der Mensch aber zu einem vereinsamten, zellulären oder allenfalls zu einem Herdenwesen (beim Fernsehen im Familienkreis, im Stadion- oder Kinopublikum usw.). Die Strukturen des Konsums sind beides: sehr fließend und in sich geschlossen. Kann man sich ein Bündnis der Autofahrer gegen die Autobahngebühren vorstellen? Oder kollektive Aktionen gegen das Fernsehen? Jeder der Millionen Zuschauer mag gegen die Fernsehwerbung sein, was nichts daran ändert, dass sie ausgestrahlt wird. Denn der Konsum wird als Selbstgespräch orchestriert“ (Baudrillard 2015: 124).

Eine besondere Rolle spricht Baudrillard auch der Konsumkritik zu: Sie sei nicht nur Teil des Spiels, sondern vielmehr trage sie zu seinem Erhalt bei. Die Kritik, so Baudrillard, schaffe keine Distanz, sondern vielmehr reproduziere sie die Logik des Objekts. Gerade deshalb sei es für das System so einfach, die Kritik und die Entfremdung einzuarbeiten (Baudrillard 2015: 281f). Dies gehe so weit, dass die Selbstbeschreibung der „Konsumgesellschaft“ als solche, quasi eine Akzeptanz der Verhältnisse sei oder anders gesprochen: eine Aussage der gegenwärtigen Gesellschaft über sich selbst im Sinne einer self-fulfilling prophecy (Baudrillard 2015: 284).

Dieses Element erinnert durchaus an Boltanski und Chiapello, die im „neuen Geist des Kapitalismus“ die Fähigkeit sehen, Kritik einzuarbeiten und ihn deshalb als so stabil anerkennen.

Schließlich sieht Baudrillard die Entfremdung - ähnlich wie Marx - im Verhältnis des Menschen zu den Objekten: „Nie begegnet der Mensch des Konsums seinen eigenen Bedürfnissen oder auch dem Produkt seiner eigenen Arbeit, niemals tritt er seinem eigenen Bild gegenüber: Er ist den Zeichen immanent, die er arrangiert“ (Baudrillard 2015: 281f; Herv. i. O.).

Das System der Bedürfnisse

Um das System der Bedürfnisse als Produkt des Produktionssystems verstehen zu können widmet sich Baudrillard der „Genealogie des Konsums“, die im Verlauf der Geschichte gezeigt werden soll. Was Baudrillard zuvor als „zumindest der Tendenz nach, die totale Diktatur der Produktionsordnung“ (Baudrillard 2015: 105) nennt, wird hier nochmal besonders deutlich. Indem sie die Maschine (als Produktivkraft), das Kapital (als rationalisierende Produktivkraft) und die lohnabhängige Arbeitskraft (als abstrakte, systematisierte Produktivkraft) produziere, löse die Produktionsordnung das traditionelle Arbeitssystem ab. Daraus folgert Baudrillard:

„Auf dieses Weise produziert die Produktionsordnung die Bedürfnisse, das SYSTEM der Bedürfnisse, die Nachfrage/Produktivkraft als rationalisiertes, integriertes, kontrolliertes Ganzes, das die erstgenannten Faktoren (Maschine, Kapital, Arbeit) in einem Prozess der totalen Beherrschung der Produktivkräfte und der Produktionsprozesse ergänzt. Als System begriffen sind die Bedürfnisse ihrerseits ebenfalls radikal verschieden vom Genuss und von der Befriedigung. Sie werden als Systemelemente produziert und nicht als Verhältnis eines Individuums zu einem Objekt“ (Baudrillard 2015: 110; Herv.i.O.).

Nach Baudrillard existiert also nie ein Bedürfnis nach einem konkreten Objekt, da diese nicht mehr an eine Funktion oder ein Bedürfnis für den*die Konsument*in verbunden sind. Er unterscheidet hier zwischen dem Denotationsfeld und dem Konnotationsfeld. In seinem Denotationsfeld sei das Objekt auf dem „Gebiet seiner objektiven Funktion“ unersetzbar. Jedoch ließe es sich auf dem Konnotationsfeld (mehr oder weniger) frei austauschen, da dem Objekt im Konnotationsfeld ein Zeichenwert zugeschrieben werden. Baudrillard liefert hierzu folgendes Beispiel:

„So dient die Waschmaschine (im Denotationsfeld) als Gerät und präsentiert sich (im Konnotationsfeld) als Element von Komfort, Prestige usw. Ebendies ist das Feld des Konsums. Hier können sich alle möglichen anderen Objekte als Bedeutungselemente an die Stelle der Waschmaschine setzen“ (Baudrillard 2015: 112; Herv.i.O.).

Dass Bedürfnisse an ein bestimmtes Objekt festgemacht werden um sie zu befriedigen, bezeichnet Baudrillard als Flucht von einem Signifikanten zum anderen. Das Konsumbedürfnis gründe auf dem immer vorhandenen Mangel und dem damit verbundenen unersättlichen, nie zu stillenden Begehren. Dieses Begehren sei aber ebenfalls auf eine Gesamtheit von Objekten bezogen, sondern sei eher das Begehren eines sozialen Sinns und Unterscheidung. Deswegen, so Baudrillard, ist eine vollständige Befriedigung niemals möglich (Baudrillard 2015: 113f).

Massenkultur – oder die massenmediale Kultur

Kulturelles Recycling

Ein weiteres Charakteristikum der Konsumgesellschaft sei ihre Massenkultur (oder auch massenmediale Kultur). Diese zeichne sich unter anderem durch das, wie Baudrillard es nennt, kulturelle Recycling aus. Er spricht hier auch von Wiederentdeckung. Kultur würde als nicht mehr völlig neu geschaffen, sondern basiere auf dem Recyceln des bereits Vorhandenen. Das Recyceln macht den*die Konsument*in zum richtigen Mitglied der Konsumgesellschaft. So müsse jede*r beispielsweise im Falle der Mode darauf achten, immer „auf dem Laufenden“ zu sein, und sich bei den neusten Trends zu beteiligen, um weiterhin an sozialen Erfolg zu gelangen und nicht des Platzes (in der Gesellschaft) verwiesen zu werden (Baudrillard 2015: 147). Hieraus werde das Recycling zum gesellschaftlichen Zwang und verbreite sich in unterschiedlichste Gebiete. So erklärt Baudrillard auch den Aufschwung und Wachstum im Bereich des „medizinischen Recyclings“, dazu gehören Fitnessprogramme, Diäten oder auch die Schönheitspflege für die Frau. Der Begriff des Recycelns zeigt auch, dass Kultur nicht mehr geschaffen werde um langfristig zu existieren.

„Alle, die sich dieser Kultur angepasst haben (…) können nicht etwa Kultur beanspruchen, sondern ein kulturelles Recycling. Sie haben also ein Recht darauf, „auf dem Laufenden“ sein, „Bescheid zu wissen“, auf ein monatliches oder jährliches Update ihres kulturellen Sortiments, einen Anspruch darauf, jenen oszillierenden, wie die Mode ständig wechselnden Zwang zu erdulden. Dies ist das absolute Gegenteil der Kultur“ (Baudrillard 2015: 148; Herv.i.O.).

Bedeutungen sind so in der Konsumgesellschaft zyklisch geworden und besitzen keinen fortdauernden Charakter. Baudrillard spricht hier vom „Aktualitätsprinzip“ (Baudrillard 2015: 148). Die Massenkultur steuert das Konsumentenverhalten durch Geschmack, Präferenzen, Bedürfnisse und letztendlich auch die Entscheidungen. Die Konsument*innen werden ständig umworben, „befragt“ und zur Antwort gezwungen. So schreibt Baudrillard über den Kauf:

„Heutzutage ist er weniger ein eigenständiger Schritt des Einzelnen hin zu einer konkreten Bedürfnisbefriedigung als vielmehr die Antwort auf eine Frage – eine Antwort, die den Einzelnen in das kollektive Ritual des Konsums einbindet. Es ist dies ein Spiel insofern. Als jedes Objekt stets als Teil einer Palette von Varianten angeboten wird, unter denen der Einzelne zu wählen hat – der Kaufakt ist ein Wahlakt, die Festlegung einer Präferenz“ (Baudrillard 2015: 154; Herv.i.O.).

Dies unterscheide die Konsument*innen in der Konsumgesellschaft zu den traditionellen Verbraucher*innen.

Kitsch und Gadget

Der Kitsch und das Gadget bilden für Baudrillard „Hauptkategorien des modernen Objekts“ (Baudrillard 2015: 160). Wie die Massenkultur, gründe die Ausbreitung von Kitsch auf der soziologischen Realität der Konsumgesellschaft. Diese soziologische Realität sei die soziale Mobilität. Baudrillard beschreibt diese als die Bewegung „der Bevölkerung (…) auf der sozialen Stufenleiter“ (Baudrillard 2015: 161). Durch den Konsum kann der*die Konsument*in einen höheren Status in der Gesellschaft erhalten, und diesen dann mit Hilfe von Zeichen und Objekten demonstrieren. Die kulturelle Nachfrage sei also abhängig vom Status in der Gesellschaft. Die sehr starke Vergrößerung der Anzahl an „Pseudoobjekten“ wird durch die Nachfrage als „eine Funktion der der sozialen Mobilität“ (Baudrillard 2015: 161) erklärt. Die Objekte sind je nach ihrer statistischen Verfügbarkeit Zeichen, um die eigene soziale Gruppenzugehörigkeit zu zeigen.

„Innerhalb dieser Logik der Distinktion ist der Kitsch niemals innovativ: Er definiert sich durch seinen abgeleiteten und niedrigen Wert. Und dieser niedrige Wert ist seinerseits einer der Gründe für seine unbegrenzte Vervielfachung. Der Kitsch vervielfacht sich in Form immer größerer Quantitäten, während sich am oberen Ende der Statusleiter die Luxusobjekte in ihrer Qualität steigern und sich durch ihre Verknappung regenerieren“ (Baudrillard 2015: 162; Herv.i.O.).

Der Kitsch besitzt also nicht nur eine „ästhetische“ bzw. „anti-ästhetische“ Funktion, sondern vor allem eine soziale.

Während die Maschine Sinnbild der Industriegesellschaft war, sind für Baudrillard das „Gadget und der „Schnickschnack“ (…) die Wahrzeichen der postindustriellen Gesellschaft“ (Baudrillard 2015: 163). Das Gadget sieht er als Objekt, welches von „funktioneller Nutzlosigkeit“ und „kombinatorischen Spielwert“ gekennzeichnet sei. Jedes Objekt dient also einem Sinn, und es gibt kein Objekt mit absoluter Nutzlosigkeit. Die Lücke, die durch einen fehlenden Zweck bzw. fehlende Dienlichkeit entsteht, wird nach Baudrillard durch den „Modus der Spielerei“ (Baudrillard 2015: 165; Herv.i.O.) gefüllt. Gadget und Schnickschnack werden also nicht als Gebrauchsgegenstand oder symbolisch verwendet, sondern sie definieren sich als Spielerei. Darüber hinaus schreibt Baudrillard:

„Diese spielerische Aktivität kann sich als Leidenschaft präsentieren. Das aber ist sie nie. Sie ist Konsum, hier die abstrakte Manipulation von Spots, „Flippern“ und elektrischen Reaktionszeiten, dort die abstrakte Manipulation von Prestigezeichen in Varianten, wie sie von der Mode angeboten werden. Der Konsum ist kombinatorisches Engagement: Er schließt die Leidenschaft aus“ (Baudrillard 2015: 167).

Werbung

Baudrillard begründet den Effekt der Werbung (bestehend in Radio und Fernsehen) auf den Konsum nicht durch die Eigenart der Werbung, die Konsument*innen direkt zum Konsum aufzufordern. So sei nicht der direkte Appell der Grund, sondern die Art der ständig aufeinanderfolgenden widerspruchsfreien Nachrichten. Auch hier sieht Baudrillard die Wirksamkeit der Werbung in ihrer Zeichenebene. So überbringen Radio und Fernsehen eben nicht einfach Nachrichten, sondern sind selber Teil der Botschaft, oder sogar die Botschaft. Baudrillard stimmt dem Medientheoretiker Marshall McLuhan zu, wenn er sagt „Das Medium ist die Message“ . Die vom Medium übermittelte Nachricht ist nicht der „Inhalt von Bild und Ton, sondern das mit der technischen Qualität dieser Medien verkoppelte Zwangsschema, welches das Reale in sukzessive und gleichwertige Zeichen auflöst“ (Baudrillard 2015: 179).

Werbung als Massenkommunikation bezeichnet Baudrillard als die Botschaft vom Konsum der Botschaft. Damit weißt sie eine Funktion der Konditionierung auf und sei so das „‟Massen‟ medium par excellence“ (Baudrillard 2015: 180).

„Die Massenkommunikationsfunktion der Werbung ergibt sich also nicht aus ihren Inhalten, ihren Verbreitungsformen oder aus ihren (ökonomisch oder psychologisch) manifesten Zielen, sie ergibt sich weder aus ihrem Umfang noch aus ihrem realen Publikum (…), sondern aus ihrer Logik selbst, der Logik eines eigengesetzlichen Mediums , (…) das nicht auf reale Objekte, eine reale Welt oder einen realen Bezugspunkt verweist, sondern von dem einen Zeichen auf das andere, von dem einen Objekt auf das andere, von dem Konsumenten auf den anderen“ (Baudrillard 2015: 183; Herv.i.O.).

Die Massenkommunikation definiert sich so durch die systematische Erzeugung von Nachrichten, welche nicht nur vom Medium übermittelt, sondern auch vom Medium selbst produziert werden.

Die Glaubhaftigkeit der Werbung begründet Baudrillard mithilfe von Boorstins Erkenntnissen in seinem Buch “Das Image“, in welchem sich Boorstin unteranderem mit dem Begriff des Pseudoereignisses in Bezug zu Nachrichten und Werbung in der amerikanischen Gesellschaft beschäftigt. Baudrillard führt den Ansatz Boorstins weiter aus. Die Werbung täusche oder betrüge nicht das Publikum, weil sie weder Wahr, noch Falsch sei. Sie funktioniert als selbsterfüllende Prophezeiung, eine Vorhersage, die sich durch ihre Bekanntgabe selbstverwirklicht. Die Tautologie der Werbung lässt ihre Versprechen nie falsifizieren. Dies lässt sich beispielsweise bei der Analyse von Werbeslogans wie „Persil wäscht weißer“ deutlich erkennen. Die Erzeugung von Glaubwürdigkeit entsteht auch in der Bildung von Marken.

(Frei-)Zeit

In der Konsumgesellschaft besitzt für Baudrillard auch die Zeit einen besonderen Stellenwert. Die Nachfrage nach Zeit sei ähnlich groß wie die Nachfrage nach anderen (materiellen) Gütern und Dienstleistungen. Wie bei anderen Gütern gäbe es auch beim Konsum der Zeit Unterschiede in den Gesellschaftsschichten. Hierbei liegt dieser Unterschied aber nicht in der Menge und Fülle der Zeit, sondern in der Qualität (Baudrillard 2015: 222). Für Baudrillard ist es ein Mythos, dass in der Freizeit völlige Gleichheit unter den Menschen herrscht und die Freizeit das Reich der Freiheit sei. Über die Zeit, als ein Gut des Produktionssystems schreibt Baudrillard:

„In diesem Fall ist sie zwangsläufig demselben Status unterworfen wie alle im Rahmen dieses Produktionssystems hergestellten oder verfügbaren Güter: Sie ist – privates oder öffentliches – Eigentum, sie wird angeeignet, geht in den Besitz ein, ist ein veräußerbares, entgeltlich oder unentgeltlich abgetretenes OBJEKT, sie hat wie alle auf diese systematische Weise produzierten Objekte an der verdinglichten Abstraktion des Tauschwerts teil“ (Baudrillard 2015: 223; Herv.i.O.).

Und führt fort:

„Der Anspruch, welcher der Freizeit zugrunde liegt, ist daher in unlösbaren Widersprüchen gefangen und im eigentlichen Sinne hoffnungslos. Die stürmische Hoffnung auf Freiheit in diesem Anspruch zeugt von der Macht des Systems von Zwängen, die nirgends so total ist wie gerade auf der Ebene der Zeit. „Wenn ich von der Zeit spreche“, sagt Apollinaire, „ist sie schon vorbei“. Von der Freizeit ließe sich sagen: „Wenn man Zeit ‘hat‘, ist sie schon nicht mehr frei.“ Und der Widerspruch liegt nicht in der Formulierung, sondern in der Sache. Dies eben ist das tragische Paradox des Konsums. In jedes Objekt, das er besitzt und konsumiert, wie in jede Minute freier Zeit will ein jeder sein Begehren einfließen lassen und ein jeder glaubt, dass es darin eingeflossen sei – aber in jedem angeeigneten Objekt, in jeder realisierten Befriedigung wie in jeder „verfügbaren“ Minute hat das Begehren sich schon verflüchtigt, ist zwangsläufig nicht mehr vorhanden. Es bleibt nur noch (…) ein Kondensat aus Begehren“ (Baudrillard 2015: 224; Herv.i.O.).

Eine „reale“ Freiheit vom Zwang des Konsums lässt sich auch in der Freizeit nie erreichen, der Mensch bleibt „Gefangene*r des Produktionssystems“.

Die Zeit ist so auch nur ein Objekt, das dem System des Tauschwerts unterliegt. Gleichzeitig ist aber jedes Objekt auch direkt oder indirekt in Zeit umwandelbar. Die Zeit bleibt so ein Tauschobjekt des Produktionssystems, welches jederzeit in andere Ware (besonders in Geld) umgewandelt werden kann. Baudrillard sieht nur noch einen formalen Unterschied zwischen Arbeitszeit und Freizeit, sie sind der gleiche systematische Prozess. Die Normen und Zwänge aus der Arbeitszeit sind auch in der arbeitsfreien Zeit gegeben (Baudrillard 2015: 226). Den Gebrauchswert der Zeit, welcher darin liegt, verschwendet zu werden wird auch nicht durch die Freizeit wiederhergestellt. Auch die Freizeit sei dem Konsum völlig untergeordnet und lässt sich nicht aus dem Konsumsystem herausziehen. Als Grund hierfür spricht Baudrillard oft von der „fun-morality“. Freizeit definiert Baudrillard als den Konsum unproduktiver Zeit, als das Aushängeschild der freien Verfügung über die Zeit (sie ist nicht die Verfügung über die Zeit), als Unterschied zur Arbeitszeit (Baudrillard 2015: 233).

Konsumverständnis

Daraus ergibt sich schließlich, was Baudrillard unter Konsum versteht und warum die Definitionen, die er liefert (siehe Abbildung) so vielfältig sind. Sie werden durch die Theorie verbunden.

„Konsum, das heißt […] die Zerstörung [des] Nutzens [eines Gutes]“ (Baudrillard 2015: 102).

Damit weist Baudrillard darauf hin, dass der praktische Nutzen des Dings irrelevant werde. Das Gut werde somit zum reinen Konsumobjekt, dessen Zweck nun mehr nur noch darin bestünde, konsumiert zu werden. Man kann somit auch anmerken, dass die Frage, die für den Erwerb des Produkts zugrunde liege nicht mehr „Was kann ich damit machen?“ sei, sondern vielmehr „Wie kann ich mit Hilfe des Gutes sozial aufsteigen?“. Dies wird auch klar, wenn Baudrillard schreibt:

Konsum ist „eine Ordnung von Bedeutungen“ (2015: 115).

In diesem Sinn ist

Konsum „grenzenlose soziale Aktivität“ (Baudrillard 2015: 108; Herv. i. O.).

Grenzenlos, weil der Wunsch nach sozialer Distinktion in einem Wettkampf ende, in dem der verlöre, der mit Konsum als erste*r aufhört. Derjenige*Diejenige bliebe schließlich zurück, verleugnete die Spielregeln und würde schlichtweg asozial. Mit der folgenden Definition des Konsum als Moral und als Bürger*innenpflicht verdeutlicht Baudrillard eben dies noch einmal:

„Der Konsum ist [somit] ein System, das die Anordnung der Zeichen und die Integration der Gruppe sicherstellt. Somit ist er eine Moral (ein System ideologischer Werte) und zugleich ein Kommunikationssystem, eine Tauschstruktur“ (Baudrillard 2015: 114).
Konsum ist als Bürger*innenpflicht institutionalisiert (Baudrillard 2015: 117).

Schließlich stellt Baudrillard aber auch noch heraus, dass die Konsumgesellschaft nicht von selbst oder gar ex nihilo entstanden sei, sondern auch das Verständnis einer Gesellschaft von sich selbst sei. Und weil die Gesellschaft sich also als „die Konsumgesellschaft“ verstehe, sei sie diese in der Folge auch. Anders gesprochen: Weil ich sage, dass ich so sei, werde ich in der Folge auch so.

Konsum ist „eine Aussage, welche die gegenwärtige Gesellschaft über sich selbst trifft“ (Baudrillard 2015: 284).

Literatur

  • Baudrillard, Jean. 2015. Die Konsumgesellschaft. Ihre Mythen, ihre Strukturen. Wiesbaden: Springer VS.
  • Boltanski, Luc und Ève Chiapello. 2001. Die Rolle der Kritik in der Dynamik des Kapitalismus und der normative Wandel. Berliner Journal für Soziologie 11:459–477.
  • Boltanski, Luc und Ève Chiapello. 2003. Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.
  • Galbraith, John Kenneth. 1970. Gesellschaft im Überfluß. München: Droemer Knaur.
  • Galbraith, John Kenneth. 1973. Die moderne Industriegesellschaft. München: Droemer Knaur.
  • König, Wolfgang. 2008. Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne. Stuttgart: Steiner.
  • Marx, Karl. 2011. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 7., verbesserte Auflage. Stuttgart: Kröner.
  • Strehle, Samuel. 2012. Zur Aktualität von Jean Baudrillard. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Veblen, Thorstein. 1931. The Theory of the leisure class. An economic study of institutions. New York: The modern library.
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