Postmoderne Perspektiven – Differenz und Kritik

Postmoderne allgemein

Postmoderne als Strömung und Zeitdiagnose

Postmoderne ist zunächst wörtlich zu verstehen als Zeitdiagnose: Beschreibung einer Gesellschaft, die die klassische Moderne ein Stück weit hinter sich gelassen hat. Die sich so weit von der bisherigen Moderne unterscheidet, dass die Verwendung eines neuen Begriffs gerechtfertigt ist. Zweitens ist der Begriff „postmodern“ der Name einer philosophischen und künstlerischen Strömung, die eine Überwindung der Moderne nicht nur diagnostiziert, sondern gleichzeitig auch fordert. Den Inhalt des Begriffs „postmodern“ genau zu bestimmen, wird erschwert durch eine große Heterogenität innerhalb der postmodernen Strömung. Über die Definition von modern und postmodern herrscht keine Einigkeit. So wird mit dem Begriff „Moderne“ auf unterschiedliche Zeiträume Bezug genommen (vgl. Welsch 2008: 47) und sich in den einen oder anderen Punkten davon abgehoben. Die folgende Charakterisierung ist daher stark vereinheitlichend, um in kurzer Zeit einen Überblick geben zu können.

Moderne aus postmoderner Sicht

Als eine zentrale Figur der philosophischen Postmoderne gilt Lyotard. In seinem Aufsatz „Das postmoderne Wissen“ (1979) trug er wesentlich zur Popularisierung des Begriffs bei (vgl. Welsch 1994: 12). Für ihn ist die Moderne das Zeitalter der großen Erzählungen. Sie war geprägt von Leitideen, die nun unglaubwürdig geworden sind, bzw. von immer weniger Menschen geglaubt werden. Damit gemeint sind im Wesentlichen die westliche Aufklärung, der Humanismus und die positivistischen Wissenschaften (QUELLE). Postmoderne bezeichnet demnach weniger eine Epoche, als vielmehr den Geisteszustand, nicht mehr an die universale Gültigkeit von Werten und Wahrheiten zu glauben, sondern ein Nebeneinander zuzulassen, ja sogar gutzuheißen.

Postmoderne Differenz

Wesentlich für die postmoderne Haltung ist eine positive Reaktion auf den Verlust an sicher geglaubten Wahrheiten. Sie lobt die Vielfalt und das Nebeneinander von Lebensweisen und Wissenskonzepten und tritt auf als „Anwalt der Pluralität“ (Welsch 1994: 12). Dabei ist Pluralität, oder auch Differenz, nichts, was der Moderne komplett fremd wäre. Im Gegenteil war es auch schon ein wichtiges Stichwort der Moderne. Max Weber beobachtete zu seiner Zeit bereits einen „Polytheismus der Werte“ (Welsch 1994: 14). Insofern bedeutet die Postmoderne nicht die Neuerfindung, sondern weitere Radikalisierung und positive Umdeutung von Differenz.

„,Postmoderne' ist die Fortsetzung des Modernismus, nur dass hier das Vertrauen in die Ausbreitung der Vernunft verlorengegangen ist.“
(Latour 2002: 377; zitiert aus Clarke 2012: 26))

Beiträge der Postmoderne zu empirischer Sozialforschung

Frühere Positivismuskritik

Die Postmoderne ist im Wesentlichen eine radikale Absage an den Positivismus. Ein positivistisches Wissenschaftsverständnis geht von dem*r Wissenschaftler*in als neutral beobachtender Instanz aus, die die Wirklichkeit empirisch untersucht. Mithilfe von Versuchen, die unter kontrollierten Bedingungen stattfinden, soll verlässliches Wissen über die Wirklichkeit akkumuliert werden. Gegen den Positivismus als Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten wurde schon lange vor dem Entstehen der postmodernen Bewegung Kritik geübt. Von großer Bedeutung war der Kritische Rationalismus Karl Poppers, der proklamierte, dass sich wissenschaftliche Thesen niemals verifizieren, sondern nur falsifizieren ließen. Im Positivismusstreit, der innerhalb der Soziologie in den 60er Jahren ausgetragen wurde, wurde auch er als zu positivistisch kritisiert. Der postmoderne Diskurs stellt schließlich eine noch stärkere Abgrenzung vom Positivismus dar.

Die postmoderne Kritik

Die Postmoderne vertritt eine skeptische Haltung gegenüber jeglichem Wissen, inklusive dem wissenschaftlich produzierten. Jedes Wissen über die Welt gilt immer als situiert, d.h. wird von einer bestimmten Gruppe unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen produziert und ist von diesen beeinflusst. Folglich könne kein Wissen von sich behaupten, universal gültig zu sein. Auch die empirische Wissenschaft ist von dieser generellen Skepsis nicht ausgenommen. Im Gegenteil gilt der Postmoderne eine Wahrheit gerade da, wo sie als universal und objektiv behauptet wird, als autoritär. Häufig werden solche Universalitätsansprüche im Anschluss an die HegemonietheorieAntonio Gramscis auch als „hegemoniale Strategien“ bezeichnet (Clarke 2012: 26). Der Versuch, das eigene Wissen als das einzig wahre darzustellen, wird so vor dem Hintergrund einer diskursiven Auseinandersetzung um Deutungshoheit gesehen und gilt dem postmodernen Denken als illegitimer Versuch, andere Ansichten zu verdrängen. Für die Wissenschaft bedeutet die von der Postmoderne in vielen Lebensbereichen beobachtete und eingeforderte Differenz, dass es viele differente Forschungsperspektiven nebeneinander geben kann und soll. Sie bedeutet zweitens, dass eine Forschung auch die soziale Situation, in der sie selbst entsteht, immer im Blick haben soll.

Der postmodern turn

Unter postmodern turn wird ein sozialwissenschaftlicher Paradigmenwechsel verstanden. Bereits seit den letzten Jahrzehnten bestehen Trends, die in die gleiche Richtung wie die postmoderne Kritik gehen. Dazu gehören folgende Entwicklungen:

  • Erstens wurde zunehmend ein interpretatives Vorgehen gewählt, d.h. die Forscher*innen beobachteten nicht mehr nur Verhalten und bewerteten es nach ihren eigenen Maßstäben, sondern versuchten, die subjektive Bedeutung von sozialem Handeln zu verstehen (Charmaz 2012: 52).
  • Zweitens wurde das Verhältnis zwischen Betrachter*in und Betrachteten intensiver problematisiert. Da ein*e Betrachter*in der Gesellschaft immer Teil dessen ist, was er*sie beobachtet, ist es notwendig, den eigenen Betrachtungsstandpunkt mit zu reflektieren und anzuerkennen, dass dieser durch die sozialen Gegebenheiten vorgeprägt ist (Charmaz 2012:52).
  • Drittens fand ein Aufleben feministischer und marxistischer Forschung statt (Charmaz 2012: 52).

Unter postmodern turn selbst führt diese bestehenden Trends fort und intensiviert sie. Es gibt viele Stimmen, die fordern, dass nach dem postmodern turn neue Forschungsmethoden entwickelt werden. Diese sollen den Kritikpunkten der empirischen Forschung gerecht werden und die Komplexität der Realität besser erfassen. Während die Moderne unter anderem durch Universalität, Rationalität und Vereinfachung gekennzeichnet ist, macht die Postmoderne eine Komplexität und die Achtung der Nichtfassbarkeit der Realität aus (vgl. Clarke 2012: 26). Postmoderne Empirie nimmt die Situiertheit von Wissen ins Auge und distanziert sich von Universalitätsansprüchen, die moderne Forschungsmethoden haben (vgl. Clarke 2012: 27).

Konkret ist er unter anderem mit folgenden Veränderungen verbunden:

  • Die sozialwissenschaftliche Forschung erhält einen stärker interdisziplinären Charakter. Bisher geltende disziplinäre Grenzen verschwimmen, bestehende Forschungsansätze werden miteinander kombiniert.
  • Neue Forschungsdisziplinen entstehen: Postkoloniale, feministische, diasporische, ethnische, queere, multikulturelle und „andere“ neu entstandene Theorien und Studien (Clarke 2012: 27) eint das Vorhaben, Forschung aus einem bisher marginalisierten Blickwinkel zu betreiben.
  • Neue Forschungsmethoden entstehen. Dazu gehören die Diskursanalyse sowie die Situationsanalyse.
  • Die Rolle von medialen Bildern wird zunehmend als wichtig für die (Re)produktion von Bedeutung erachtet und bildet ein wichtiges sozialwissenschaftliches Untersuchungsfeld. (Charmaz 2012: 53). Diese Bewegung ist auch unter dem Stichwort "iconic turn" bekannt.
  • In Studien wird der eigene kulturelle Kontext mit reflektiert. Die Haltung eines*r postmodernen Wissenschaftlers*in ist eine stark selbstkritische, sich selbst beobachtende.
  • Es findet eine Dekonstruktion der Autorität von Wissenschaft statt.

Die Situationsanalyse

Die Situationsanalyse ist eine qualitative Forschungsmethode, die postmoderne Problematiken aufgreift und in der Analyse ihren Fokus intensiver auf die gesamte Forschungssituation legt. Durch eine Forschungsarbeit von Adele Clarke 1980 und ihre Arbeiten im Bereich der qualitativen Forschung wurde die Situationsanalyse als eine Erweiterung der https://de.wikipedia.org/wiki/Grounded Theory-Methode entwickelt. Diese sollte sich vom Fokus des Positivismus der 1950er/1960er Jahre auf soziale Prozesse distanzieren und zu einer postmodernen Forschungsmethode ausgebaut werden. Die Situationsanalyse bildet das genaue Gegenteil zu positivistischen Simplifizierungsstrategien (vgl. Clarke 2012: 35f) und übernimmt ihre kartographischen Methoden aus den Ansätzen der Chicago School, durch die das, was Park (1952) als „the big picture“ oder „the big news“ bezeichnet, erfasst werden soll. Es handelt sich dabei um ein allgemeines Modell zur Darstellung räumlicher Kontexte einer zu untersuchenden Situation (vgl. Clarke 2012: 79ff).

„[…] die Situationsanalyse [verknüpft] […] den Symbolischen Interaktionismus, die Soziologietradition der Chicago School und Strauss' Analyse von sozialen Welten/Arenen mit Foucaultschen Denkwerkzeugen.“ (Mey/Mruck 2011: 116)

Der Anspruch der Situationsanalyse ist es, „Komplexität zu erfassen, anstatt sie zu vereinfachen“ (Clarke 2012: 31). Durch die „Dezentrierung des „erkennend-wissenden Subjekts““ (Clarke 2012: 32) soll die Heterogenität unserer Welt veranschaulicht und das Soziale, also die gesamte Situation, am sozialen Leben erfasst werden (vgl. Clarke 2012: 31). Die Analysemethode erweitert die Grounded Theory, indem die Forschungssituation selbst ins Zentrum der Analyse gerückt wird (vgl. Clarke 2012: 34) und ergänzt das gegenstandsverankerte Theoretisieren, das vor dem postmodernen turn einen Großteil der sozialwissenschaftlichen Forschung ausgemacht hat (vgl. Clarke 2012: 119). Ebenso wie die Grounded Theory-Methode wird bei der Situationsanalyse gezielt vor dem Forschungsprozess überlegt, was untersucht werden soll. Clarke beschreibt dieses sogenannte theoretische Sampling als sehr wichtig für die Situationsanalyse (vgl. Clarke 2012: 33). Auch die Kodierungsverfahren der frühen Grounded Theory dienen der Entwicklung von Situationsanalysen (vgl. Clarke 2012: 36).

Die Situationsanalyse stellt mit Hilfe von drei verschiedenen Maps die Forschungssituation empirisch dar:

  1. Situations-Maps veranschaulichen wichtige Elemente der Forschungssituation (Wortwiederholung?) und deren Beziehung zueinander.
  2. Maps sozialer Welten/Arenen zeigen die Auswirkungen vom Handeln kollektiver Akteure auf einer Mesoebene.
  3. Positions-Maps verdeutlichen die unterschiedlichen Positionen in Diskursen der Forschungssituation.

Situations-Maps

Unter Situations-Maps sind die Orte der Analyse zu verstehen, in denen alle in der Situation vorkommenden Elemente mit zentraler Bedeutung graphisch festgehalten werden. Es geht dabei um menschliche sowie um nichtmenschliche Elemente, die so dargestellt werden müssen, „wie sie von jenen in der Situation selbst und durch den Analytiker definiert werden“ (Clarke 2012: 124f.). Die Bestimmung von Individuen, Institutionen oder Gruppen auf den Maps sollte ebenfalls alle menschlichen Elemente beinhalten, die später vernachlässigt werden könnten (vgl. Clarke 2012: 125). Zu nichtmenschlichen Elementen zählen „z.B. Technologien, materielle Infrastrukturen, Spezialwissen und/oder -information, materielle „Dinge““ (Clarke 2012: 128 Abb. 3.2).

Die Forschende Person muss sich die Frage stellen, für wen welche der nichtmenschlichen Elemente wichtig sind, und warum. Außerdem ist es von großer Bedeutung, auf Diskurse, Ideen und Symbole zu achten, die auf die Forschungsdaten einwirken. Ist die erste Version der Situations-Map fertiggestellt, können die Elemente geordnet werden. Was auf der Map auftaucht, ist aber von der Forschenden und ihres Projekts abhängig (vgl. Clarke 2012: 126ff.).

Die anschließende relationale Analyse untersucht die Beziehung eines jeden einzelnen Elementes zu den anderen Elementen auf der Karte. Mittels mehrerer Kopien der aktuellsten Version der Map wird immer ein Element in das Zentrum der Karte gelegt und die Art der Beziehung durch Verbindungen und Markierungen zu anderen Elementen analysiert (vgl. Clarke 2012: 140). Die Relationale Analyse führt „den Analytiker an die Daten heran und in sie hinein“ (Clarke 2012: 146). Schon während des Mappings, aber auch während der Analyse sollte der Forschende Gedankengänge mit Memos und Notizen in Forschungstagebüchern oder Tonaufnahmen festhalten, um Ergebnisse zu überdenken und weiterzuentwickeln, (vgl. Clarke 2012: 127f., 146). Durch die komplexe Erfassung vieler Elemente der Situation sowie deren Beziehung zueinander, stellt sich diese postmoderne Analysemethode gegen Pauschalisierungen empirischer Forschung und regt Diskurse darüber an (vgl. Mey/Mruck 2011: 119).

Fertiggestellt ist eine Situations-Map, wenn keine umfassenden Änderungen mehr vorgenommen werden können und die Forschende der Ansicht ist, einen umfassenden Überblick über alle wichtigen Elemente zu haben. Es wird dann von einer Sättigung gesprochen (vgl. Clarke 2012: 147).

Maps Sozialer Welten/Arenen

Die aus dem Symbolischen Interaktionismus stammende Analyse von Sozialen Welten/Arenen stellt sich mit einem Fokus auf soziale Gruppen gegen die Individuumszentrierte empirische Forschung (vgl. Clarke 2012: 147). Auf einer Mesoebene, die als Schnittstelle der soziologischen Makro- und Mikroebene (vgl. Mey/Mruck 2011: 113) definiert ist, werden soziale Räume definiert. Es ist die Ebene sozialer kollektiver Handlungen, auf der aber ebenfalls deutlich wird, wie einzelne Akteure oder ganze Soziale Welten handeln (vgl. Clarke 2012: 152).

„Soziale Welten [sind] durch Diskurse konstituierte und aufrechterhaltene Diskursuniversen innerhalb von Arenen (Strauss 1978)“ (Clarke 2012: 152).

Forschende suchen beim Erstellen von Maps sozialer Welten/Arenen nach der Sinnhaftigkeit der Situation und orientieren sich an folgenden Fragen: Welche Ziele verfolgen die verschiedenen Sozialen Welten, die zusammentreffen, welche Eigenschaften haben Sie und welche Sozialen Welten befinden sich in einer Arena (vgl. Clarke 2012: 147f)? „Soziale Welten werden durch ihre Akteure definiert und erlauben hierdurch die Identifizierung und Analyse von Kollektiven […]“ (Clarke 2012: 149).

„Da die Analyse Sozialer Welten/Arenen bestrebt ist, die meisten, wenn nicht alle wichtigen Sozialen Welten in einer bestimmten Arena darzustellen, ist sie ein viel demokratischeres „Repräsentationsregime“ (Latour 1988b) als die meisten anderen analytischen Ansätze“ (Clarke 2012: 163).

Das bedeutet auch, dass es Überschneidungen Sozialer Welten und damit verbunden Akteure gibt, die in mehreren Welten interagieren. Ebenso gibt es Soziale Welten, die in mehreren sozialen Arenen wirken (vgl. Clarke 2012: 149f.). In dem Rahmen, in welchem die Situation zusammenhängend erfasst werden kann, porträtieren die Maps Sozialer Welten/Arenen ein realitätsgetreues Modell der Forschungssituation, „[the] big news“ (Park (1952) zitiert aus Clarke 2012: 150). Der Analysefokus kann auf das Handeln an sich (basic social processes) oder auf die handelnden Einheiten gerichtet sein (vgl. Clarke 2012: 152). Da die Beachtung von „kollektivem sozialem Handeln“ (Clarke 2012: 152) grade in der qualitativen Forschung oft vernachlässigt wird, ist die Analyse von Sozialen Welten/Arenen für eine postmoderne Sozialforschung sehr wichtig (vgl. Clarke 2012: 152).

Memos sollten zu jeder Sozialen Welt angefertigt werden, je nach Wichtigkeit unterschiedlich ausführlich. Die aktuelle Version einer Map Sozialer Welten/Arenen kann durch Verschieben und Vergrößern bzw. Verkleinern der Welten überarbeitet werden. Anschließend werden die für die interessierende Situation relevanten Sozialen Welten in einem Memo zusammengefasst und genau beschrieben (vgl. Clarke 2012: 153). In Kombination mit den Memos liefert die erstellte Karte für die Situation ein erstes „big picture“ (Park 1952). Tauchen keine neuen Sozialen Welten mehr in der Map auf, ist diese ausreichend bearbeitet worden (vgl. Clarke 2012: 163).

Positions-Maps

Positions-Maps beinhalten, wie der Name erst annehmen lässt, keine räumlichen Positionen verschiedener AkteurInnen, sondern zeigt die in Daten eingenommenen und nicht eingenommenen Positionen (vgl. Mey/Mruck 2011: 119) graphisch auf. Positions-Maps sind Werkzeuge der Analyse für diskursive Materialien aus den interessierenden Situationen. Als postmodern daran kann man unter anderem die Tatsache bezeichnen, dass es keine guten oder schlechten Positionen gibt, sondern nur Positionen, die „zu ihren eigenen Bedingungen, in ihren eigenen Worten und Perspektiven“ (Clarke 2012: 125) von den Forschenden dargestellt, aber nicht vertreten werden.

Es ist von großer Wichtigkeit, dass Positionen nicht mit menschlichen Elementen einhergehen, um die Komplexität der Forschungssituation besser abzubilden. Individuen, Gruppen und Institutionen können mehrere unterschiedliche Standpunkte im vorherrschenden Diskurs einnehmen (vgl. Clarke 2012: 165). Auch Widersprüche sind können durch die sozialen Standorte in der Karte veranschaulicht werden. Das bringt die Analysierenden in die Lage die gesamte Forschungssituation besser zu verstehen. Die Darstellung einzelner Positionen in der Analyse durch Verknüpfen der Positions-Maps mit Maps von Sozialen Welten/Arenen ist dennoch ein wichtiger Arbeitsschritt der Situationsanalyse (vgl. Clarke 2012: 166f.). Die Beschreibung von verschiedenen Positionen einer Situation aus der eigenen Perspektive ist radikal demokratisch. Entgegen des allgemeinen Vorwurfes der Beliebigkeit an die Postmoderne bedeutet dieser Relativismus nicht, dass jede Position gleichwertig ist. Eher ist es eine „Politik der Anerkennung der Anwesenheit statt faschistische Verleugnung und Unterdrückung von Vielfalt“ (Clarke 2012: 167).

Die verschiedenen Positionen werden durch Untersuchung der Forschungsdaten auf grundlegende Diskursfragen herausgefunden und räumlich angeordnet (ABBILDUNG 3.14). Zwei Achsen bilden jeweilige Zustimmung oder Ablehnung ab, optimal ist hier, wenn die Forschende die Achsen „allgemein à la „mehr versus weniger“ benennt“ (Clarke 2012: 168). Wie auch bei der Situations-Map ist eine Positions-Map fertiggestellt, wenn sie gesättigt ist, also in neuen Daten keine Themen oder Positionen von Bedeutung mehr auftreten. Ein großer Vorteil der Positions-Maps ist, dass der Analysierende Positionen erkennen kann, die in den Rohdaten nicht aufgefallen wären (vgl. Clarke 2012: 175).

Projekt-Maps

Projekt-Maps sollen Aspekte eines Projekts veranschaulichen. Situations-Maps dienen eher schlecht als Projekt-Maps. Das liegt daran, dass sie die Situation nicht analysiert, sondern sie mit all ihren Elementen aufnimmt und wiederspiegelt. Eine aus einer Situations-Map hervorgegangene Relationsanalyse bietet allerdings eine gute Basis für Projekt-Maps. Auch Maps von Sozialen Welten/Arenen können aufgrund ihrer analytischen Inhalte als Projekt-Maps veröffentlicht werden und liefern eine schnelle und simple Übersicht der empirischen Daten für das Forschungspublikum. Positions-Maps können ebenfalls als gute Projekt-Maps dienen, wenn es sich um eine umfangreiche Forschungssituation mit nuancierten Positionen handelt, beispielsweise um Vorträge mit Grafiken zu erweitern (vgl. Clarke 2012: 177). (ABBILDUNG?)

Die Maps bieten „neue Methoden zur Erfassung und Kartierung von Daten, zur Situierung von Personen und Kollektiven, nichtmehrschlichen Aktanten, Diskursen, Organisationen und so weiter.“ (Clarke 2012: 180). Sie können sowohl simultan, als auch sequentiell erstellt werden. Es ist von Vorteil, während des Forschungsprozesses alle drei Maps zue Verfügung zu haben, da sie sich wechselseitig weiterentwickeln und erweitern (vgl. Clarke 2012: 181). „Die mit Hilfe der hier präsentierten Ansätze entstandenen Endprodukte sollten einige Aspekte dessen aufweisen, was Park (1952), wie oben erwähnt, als „Big News“ bezeichnete[…]“ (Clarke 2012: 181).

Positions-Maps zielen „darauf, das gesamte Spektrum diskursiver Positionen zu den Schlüsselthemen der Situation wiederzugeben.“ (Mey/Mruck 2011: 119)

„Solche Maps bieten eine Interpretation der Situation auf der Mesoebene, indem sie ihre sozialorganisatorische, institutionelle und diskursive Dimension aufnehmen.“(Mey/Mruck 2011: 119) (Zu Maps Sozialer Welten/Arenen)

Kritik an der Postmoderne

Nicht selten wird der Postmoderne vorgeworfen, die dank sorgfältiger Gütekriterien legitime Autorität von Wissenschaft zu untergraben. Wenn verschiedene Wahrheiten alle nebeneinander partikular gültig sind, werden sie dann nicht beliebig? (Wie) kann empirische Wissenschaft in einer postmodernen Welt noch von sich behaupten, verlässlicher zu sein als andere Quellen der Erkenntnis?

Kathy Charmaz Die US-amerikanische Soziologin Kathy Charmaz wirft Teilen der Postmoderne vor, im Widerspruch zur Praxis empirischer Sozialforschung zu stehen. Als empirisch forschende Person sei es darum erforderlich, einen Standpunkt zwischen Postmoderne und Positivismus einzunehmen. Sie unterscheidet in ihrer Kritik zwischen von ihr so genanntem „affirmativem“ und „negativem bzw. dekonstruktivem“ Postmodernismus (Charmaz 1995: 46) Die affirmative Strömung innerhalb der Postmoderne habe eine Reform von Wissenschaft im Sinn und ziele auf die Etablierung neuer wissenschaftlicher Frameworks. Negativer / dekonstruktiver Postmodernismus lehne die Empirie als Methode insgesamt ab. Er übt eine radikalere Kritik an der empirischen Wissenschaft und liefert keine Vorschläge, wie man sie besser machen könnte (Charmaz 1995: 49). Beispielhaft bezieht sie sich auf das postmoderne Ausrufen vom „Ende der Ethnographie“. Kathy Charmaz tritt dafür ein, weiterhin die Wirklichkeit empirisch zu untersuchen. Mit der von ihr charakterisierten „dekonstruktivistischen“ Strömung der Postmoderne sei dieses Vorhaben nicht vereinbar. Einer postmodernen Reform von Wissenschaft steht sie aber durchaus positiv gegenüber. Ihre Methode ist eine Ethnographie basierend auf dem Paradigma des Symbolischen Interaktionismus. Ihre Thesen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

1. Es ist möglich, den anderen zu verstehen. Zentrale Voraussetzung für die ethnographische Methode ist die Hermeneutik: Als Forschende Person gilt es, den subjektiv gemeinten Sinn von sozialem Handeln zu rekonstruieren. Daraus ergibt sich ein Widerspruch zu postmodernen Positionen, die die Möglichkeit von Verstehen verneinen.

2. Erkenntnisquellen sind nicht alle gleichwertig. Die Einhaltung wissenschaftlicher Gütekriterien verleiht empirischer Forschung eine besondere Glaubwürdigkeit.

3. Es ist möglich, einen Kompromiss zwischen Positivismus und radikaler Postmoderne zu finden. Der Symbolische Interaktionismus ist bereits eine nicht positivistische, empirische Forschungstradition. Er erkennt an, dass alles von ihm erzeugte Wissen situiert ist, dass seine Erkenntnisse also nur in einem spezifischen kulturellen und historischen Kontext gelten. Weiterhin sind seine Erkenntnisse subjektiv, da sie subjektive Rekonstruktionen von ohnehin schon subjektiven Erfahrungen sind.

Ansätze eines postmodernen Feminismus

Das „Denken der Differenz“

Postmodernes Denken und Feminismus haben eine Affinität zueinander, die darauf basiert, dass diese Positionen ähnliche grundlegende Thesen „vom Tod des Menschen, vom Tod der Geschichte und vom Tod der Metaphysik“ (Benhabib/Butler et al. 1993: 10) annehmen (vgl. Benhabib/Butler et al. 1993: 9). Doch trotz dieser Übereinstimmungen gehen diese Standpunkte auseinander und es gilt zu fragen, ob Feminismus und Postmoderne vereinbar sind, ohne dass das emanzipatorische Interesse des Feminismus verloren geht (vgl. Benhabib/Butler et al. 1993: 18). Durch unzählig viele heterogene Positionen der emanzipatorischer Bewegung fehlt dieser ein Grundfundament, auf das sich alle AkteurInnen berufen können (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 87).

Es gibt drei Grundpositionen des Feminismus (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 88f.):

  1. Eine liberale Form, die eine bedingungslose Geschlechtergleichstellung fordert.
  2. Eine gynozentrische Position, die Zweigeschlechtlichkeit als natürlichen und fraglosen Bestandteil des Menschen sieht. Die Forderung ist keine Aufhebung der Geschlechtertrennung, sondern ihre Rekonstruktion.
  3. Eine dekonstruktivistische/postmoderne Position, die Geschlecht als eine aufzulösende Kategorie sieht und im Gegensatz zur gynozentrischen Position der Zweigeschlechtlichkeit klar widerspricht.

Die postmoderne Position des Feminismus kritisiert die von Akteur*innen geschaffene und reproduzierte Konstruktion Geschlecht (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 88). Eine der Forderungen ist ein postmodernes „Denken der Differenz (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 87) für Offenheit, Respekt, Skepsis (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 95), der Auflösung von Einheiten, Kategorien und Identitäten (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 91) sowie eine klare Distanzierung vom universellen modernen Feminismus. Die Grundlage des Feminismus der Moderne ist, dass überwiegend Frauen einer weißen westlichen Gesellschaft „das Subjekt des Feminismus aus [ihrer] Perspektive bestimmen“ (Thürmer-Rohr 1995: 88) und dass es durch Aussagen über die „Anderen“ (Thürmer-Rohr 1995: 87) unmöglich wird, ein einheitliches Bild der „Frauen“ (Thürmer-Rohr 1995: 88) zu bekommen.

„Feministinnen müssen normative Urteile fällen und emanzipatorische Alternativen anbieten. Wir sind nicht für „anything goes““
(Benhabib/Butler et al. 1993: 75).

Die Solidarität verschiedener emanzipatorischer Bewegungen zueinander wird durch die Pauschalisierung eines Feminismus stärker behindert als gefördert (vgl. Fraser/Nicholson 1989: 99), was nicht zuletzt daran liegt, dass Interessen verschiedener gesellschaftlichen Gruppen, wie etwa heterosexuelle Frauen der weißen westlichen Mittelklasse und People of Color der „Dritten Welt“, aufeinanderprallen (vgl. Benhabib/Butler et al. 1993: 75)

Die Ausgrenzung dieser „Anderen“ (Thürmer-Rohr 1995: 87) ist ein weiterer Kritikpunkt des differenzierten Denkes. Andere sind „diejenigen, die von [unserer] Kultur als Andere konstruiert werden“ (Thürmer-Rohr 1995: 95). Dieser Aussage nach bedeutet postmoderner Feminismus Gesellschaftskritik, weil „die Logik des Patriachats der Moderne nicht nur das Geschlechterverhältnis“ (Thürmer-Rohr 1995: 95) betrifft. Neben der Frau als Objekt der Diskriminierung ist die Kultur der westlichen Welt das Subjekt der Diskriminierung Anderer (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 95).

Im Gegensatz zur Postmoderne betreibt der Feminismus die Renkonstruktion von Begrifflichkeiten wie „Körper“, während eine postmoderne Position deren Auflösung fordert (vgl. Benhabib/Butler et al. 1993: 52). Die Vereinbarkeit beider verschiedener Standpunkte wäre nach der Philosophin Nancy Fraser(1993),ein großer Gewinn,der falsche Gegensätze auflösen und im Sinne postmoderner Argumentation kollektive Identitäten erfassen kann, die komplex und gleichzeitig sozial konstruiert sind (vgl. Benhabib/Butler et al. 1993: 76f.). „Feministinnen brauchen beides, Dekonstruktion und Rekonstruktion, Destabilisierung von Bedeutung und den Entwurf einer utopischen Hoffnung“ (Benhabib/Butler et al. 1993:76).

„Das postmoderne Denken steht also scheinbar vor einem Dilemma: Entweder es kann der Notwendigkeit zustimmen, „die Welt vollständig umzukehren“ – um eine Zielsetzung des Feminismus anzuführen – und damit der aufklärerischen Idee einer totalen Rekonstruktion der Gesellschaft nach Richtlinien der Vernunft erneut die Tür öffnen. Oder es kann dogmatisch die Argumente gegen diese Idee wiederholen – und damit den zynischen Gedanken zulassen, daß hier wie anderswo „deprimierenderweise vorhersagbar ist, wer unter dem neuen Pluralismus wem was antun wird“.“ (Lovibond zitiert aus Benhabib/Butler et al. 1993: 21).

Bibliographie

  • Benhabib, Seyla; Butler, Judith et al. (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt/M.: Fischer.
  • Charmaz, Kathy (1995): Between Positivism and Postmodernism. Implications for methods. In: Studies in Symbolic Interaction 17. Greenwich, Conn.: JAI Press. S. 43-72.
  • Clarke, Adele (2012): Situationsanalyse. Grounded Theory nach dem Postmodernen Turn. Wiesbaden: Springer VS.
  • Fraser, Nancy; Nicholson, Linda (1989): Social Criticism without Philosophie: An Encounter beween Feminism and Postmodernism. In: Social Text 21. S. 83-104.
  • Mey, Günter; Mruck, Katja (2012): Grounded Theory Reader. Wiesbaden: VS.
  • Welsch, Wolfgang (Hrsg.) (1994): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Berlin: Akademie-Verlag. 2. Auflage.
  • Welsch, Wolfgang (2008): Unsere postmoderne Moderne. Berlin: Akademie-Verlag. 7. Auflage.
Drucken/exportieren