Kulturkrieg

Rahmung von Kulturkriegstheorien

Ein Problem, welches sich an den Forderungen der betrachteten Forschungsliteratur erkennen lässt, ist, dass diese zumeist auf die Eindämmung der durch den Rechtsextremismus entstehenden Probleme - etwa Terrorismus oder die Vergiftung demokratischer Diskussionskultur - fixiert sind. Es ließe sich kritisieren, dass hiermit nur Symptombekämpfung betrieben werde, dass der Rechtsextremismus zu einem gesellschaftlich isolierten Element reduziert werde, ohne Betrachtung tieferliegender Gründe seiner Existenz und Katalysation im Internet. (Natürlich ist zu bedenken, dass der Großteil der in diesem Projekt untersuchten Forschung nicht einmal den Anspruch hatte, den Rechtsextremismus als Ganzes zu fassen - geschweige denn die gesellschaftliche Figuration, die ihn produziert - sondern spezifisch seine Relation zum Internet untersuchte.) Eine Betrachtungsweise, die dies vermeiden will, ist die, den neuen Rechtsextremismus in den Kontext eines gesamtgesellschaftlichen ‚Kulturkrieges‛ zu setzen und ihn so über sein Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Elementen und Tendenzen zu verstehen.

Der Kulturkrieg wird von seinen Theoretikerinnen zumeist als Verfallsform von Politik gesehen, in welcher anstatt politischer Inhalte nur noch Symbole verhandelt würden. Die verfeindeten Parteien in solchen Konflikten scheinen Politik nur noch über eine Freund-Feind-Dichotomie zu verstehen. Die Lebensexistenzen derer, um die sie sich zu kümmern vorgeben, würden dabei unter den Tisch fallen. Sie kritisieren damit alle beteiligten Parteien und fordern zu einer Rückkehr zu der ihrer Ansicht nach legitimen Form von Politik auf, die als auf ökonomischen Verhältnissen beruhende, sozialrevolutionäre Klassenpolitik oder als Politik der Vermittlung und des besseren Arguments verstanden wird.

Zwei Beispiele für Kulturkriegstheorien

Angela Nagle ist eine der meistzitierten Autorinnen in jüngeren Studien zum Verhältnis von Rechtsextremismus und Internet. Doch wird zumeist ausgeblendet, dass Nagles Analyse der neuen Rechten auf eine Kritik linker Identitätspolitik hinausläuft, die sie als Spiegelung und Katalysator der Alt Right darstellt (vgl. Nagle 2017: 61ff.). Sie deutet den Kulturkampf in den Vereinigten Staaten bis in die 1960er Jahre zurück, wobei die „cultural left“ (ebd.: 50) zunächst ihre Positionen zu Abtreibung, Zensur, Familie und ähnlichem durchgesetzt habe, bis Pat Buchanan 1992 einen „war for the soul of America“ (ebd.: 49) erklärte. (Der Mythos dieses Seelenkrieges hat sich bis heute erhalten und wurde jüngst von Joe Biden für seinen Präsidentschaftswahlkampf aufgegriffen (vgl. Internet 4).) Buchanan sei bereits dem ‚globalistischen‛ Neokonservatismus entgegengetreten und habe einen Anti-Establishment-Konservatismus gefördert, der sich gegen die genannten linken Kultursiege stemmte. Die neuen rechten Kulturkrieger, für die Nagle exemplarisch Alt Light-Ikone Milo Yiannopoulos herausstellt, orientierten sich an dieser Ausrichtung, übernähmen jedoch den Stil der linken Gegenkultur der 1960er Jahre: Transgression, Individualismus, Postmodernismus, Ironie und Nihilismus (vgl. ebd.: 50ff.). Damit stelle diese neue Rechte keine Rückkehr von Buchannans Konservatismus dar, den sie als zensorisch und anti-nihilistisch bekämpfe, sondern den Ausdruck der „absolute hegemony of the culture of non-conformism, self-expression, transgression and irreverence for its own sake“ (ebd.: 59f.).

Im Gegensatz zum bipolaren Kulturkrieg zwischen Links und Rechts argumentieren Conor Barnes und Peter Limberg (vgl. 2019) dafür, den Kulturkrieg multipolar zu verstehen. Eindeutige Fronten, wie noch in den Kulturkämpfen während des Kalten Krieges, seien verwischt, und jede Partei - von den Autoren „memetische Stämme“ genannt, die gleichzeitig als politische Bewegungen wie als Subkulturen fungierten - sei in beständigem Krieg mit allen anderen Parteien. Der kontemporäre Kulturkrieg sei weiterhin von sechs Krisen gerahmt: Eine durch die Säkularisierung katalyisierte Bedeutungskrise; eine postmoderne Realitätskrise; eine Krise der Atomisierung und Vereinsamung; eine durch die Gobalisierung bewirkte Distanz- bzw. Nähekrise; eine „Nüchternheitskrise“, in der Menschen sich ständig betäuben oder ablenken müssten; sowie eine Kriegsführungskrise, die darin bestehe, dass Ideen zunehmend zum Mittel geopolitischer Konflikte würden.

Kulturkrieg von rechts?

In diesen Theorien ist das rechte politische Spektrum explizit nicht der Hauptkatalysator des Kulturkrieges, sondern einer von mehreren Parteienclustern, die sich in gegenseitiger Abgrenzung ständig radikalisieren. Dennoch ist die Nähe des Bildes vom Kulturkrieg zu neurechten Strategien der Metapolitik und des Sturmes auf das ‚Vorpolitische‛ auffällig, welche explizit einen Krieg um kulturelle Symbole einfordern. Hier ansetzend ließe sich fragen, ob das Phänomen eines Kulturkrieges von der neuen Rechten vorangetrieben wird mit der Intention, ein für sie vorteilhaftes Kampffeld zu erzeugen, oder ob, wie oben genannte Theorien andeuten, seit 1968 oder seit Ende des Kalten Krieges eine gesamtgesellschaftliche Verschiebung politischer Diskurse auf dieses Feld stattgefunden hat, und eine anpassungsfähige neue Rechte damit begünstigte.

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