Legitimationen, Zielsetzungen und Forderungen

Wandlung des Legitimationssystems: Vom politischen Islam zur genuinen Gefahr des Rechtsextremismus

Studien zu Rechtsextremismus gaben sich vor wenigen Jahren eine andere Legitimation als heute, wo der Rechtsterrorismus als hauptsächliche Begründung für die Relevanz der eigenen Arbeit dargestellt wird. Zuvor wurde bei der extremen Rechten eher das Gefahrenpotential betont, eine gesamtgesellschaftliche Diskursverschiebung oder eine formale Verrohung der Debattenkultur, und damit eine politische Polarisierung, zu bewirken, was eine Einschränkung öffentlicher Debatten und eine neue Legitimation für volksverhetzende Aussagen oder ‚Hate Speech‛ sowie für die Infragestellung demokratischer Grundwerte zufolge haben könnte, wodurch letztlich die Demokratie respektive die Verfassung selbst in Gefahr gerieten. In einer Studie zu ‚koordiniertem Hass‛ von 2018 wird dieser etwa noch als Gefahr dargestellt, weil er „unsere Verfassung und die demokratischen Grundwerte“ (Ebner et al. 2018: 26) bedrohe. Eine physische Bedrohung von Menschenleben wurde eher dem politischen Islam zugerechnet. Exemplarisch meinte Volker Weiß 2017:

„Beide Spektren unterscheiden sich dadurch, dass der politische Islam ganz klar aggressiver und ungleich gewalttätiger ist. Die Neue Rechte hatte durch ihre direkte Verbindung mit dem historischen Faschismus eine offensichtlich gewalttätige Phase in der Vergangenheit, die in diesem Ausmaß nicht mehr erreicht wurde.“ (Kontrast Redaktion 2017).

Nick Kaderbhai und Alexander Meleagrou-Hitchens (vgl. 2017) gaben in einer Zusammenfassung der bis dato eröffneten Forschungsperspektiven zu Radikalisierungsmustern an, dass diese hauptsächlich mit Fokus auf den politischen Islam geschehen sei. Dies gilt auch für eine Arbeit Linda Schlegels (vgl. 2018: 5) zu Online-Radikalisierung. Im Vorwort zu einer Broschüre des Institute for Strategic Dialogue (ISD) zur Extremismusprävention im Jahr 2018 werden Islamisten und Rechtsextremisten als hauptsächliche Gefahren verstanden, allerdings wird zur bildlichen Ausschmückung fast ausschließlich auf Beispiele von internetaffinen Islamisten zurückgegriffen (vgl. Neumann 2018: 5ff.). Der Beitrag von Julia Ebner und Daniel Köhler (vgl. 2018: 20ff.) in derselben Broschüre beschäftigt sich ebenfalls mit Parallelen zwischen Rechtsextremisten und Islamisten, und setzt ebenfalls den Fokus auf die zweitere Gruppe.

Manche Forscherinnen leiten ihre Forderungen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus direkt aus den Erfolgen ab, die diese bei der Bekämpfung des politischen Islams gezeigt hätten, so etwa Julia Ebner et al. (vgl. 2018: 7).

Die Bekämpfung des politischen Islam, und dessen Parallelsetzung mit dem Problem des Rechtsextremismus, stellt also einen anleitenden Kontext in der jüngeren Rechtsextremismusforschung dar. Die Gemeinsamkeiten beider Bewegungen lassen sich nicht abstreiten, jedoch wäre in Zukunft kritisch zu fragen, ob die Methoden, die zur Bekämpfung von Islamisten angewandt wurden, problemlos auf die Bekämpfung von Rechtsextremistinnen zu übertragen sind: Erstere waren vor wenigen Jahren noch staatlich organisiert (zumindest dem Eigenanspruch nach), das heißt sie waren lokalisierbar und wurden mit Mitteln konventioneller Kriegsführung bekämpft, während Islamisten in Europa und Nordamerika zwar in der Rekrutierung und auch terroristisch aktiv waren, jedoch keine breite gesellschaftliche Basis hatten, die eine Übernahme gesellschaftlicher Hegemonie, wie sie heute von Rechts angestrebt wird, in Aussicht gebracht hätte. Rechtsextremismus scheint mir für westliche Gesellschaften interner angelegt, sodass etwa staatliche und unternehmerische Unterdrückung ihrer propagandistischen Inhalte auf größeren Widerstand, etwa inform von Zensurvorwürfen, trifft.

Forderungen an die Justiz und an Gesetzgeber

Viele Forscherinnen werfen dem Justizsystem und Gesetzgebern vor, suboptimal für die Bekämpfungen von Rechtsextremismus im Internet vorbereitet zu sein. Karolin Schwarz (vgl. 2020: 191ff.) argumentiert etwa, dass das Justizsystem unvertraut mit sozialen Medien sei, und dass Behörden mit antiquierten Methoden auf Stimmungsmache reagierten. Auch Maura Conway et al. (2019: 16) bemängeln, dass „praciticioners“ wie „policy makers“ nicht „ahead of the curve“ seien. Julia Ebner et al. (vgl. 2020: 46f.) forden vom Gesetzgeber, Rahmen zu entwickeln, die nicht mehr nur auf der Annahme von Organisationen oder Gruppen als Träger terroristischer Aktivitäten beruhen. Außerdem sollen Einzelpersonen, die Ziele rechtsextremer Bedrängungskampagnen oder ähnlichem werden, auch rechtlich stärker unterstütz werden.

Manche Forscherinnen scheinen ihre Arbeit beinahe einem juridischen Zelotismus unterzuordnen. Danilo Hares et al. (vgl. 2020: 73ff.) betonen in ihrer Inhaltsanalyse rechtsextremer Memes immer wieder, dass diese einer strafrechtlichen Verfolgung oder zumindest einer Anzeige bedürftig wären, was insbesondere forschungsethisch problematisch ist, da die Autorinnen keine besonderen Bemühungen bei der Anonymisierung einiger abgebildeter Inhalte zeigen. Stellenweise vermittelt dies den Eindruck, dass die Autorinnen sich moralisch überlegen gegenüber ihren Forschungssubjekten sehen – was angesichts des Themas verständlich sein kann, aber den Forschungsprozess behindert, wenn die Jagd nach moralischen und strafrechtlichen Verfehlungen über den Versuch von Sinnverständnis gestellt wird.

Aaron Winter weist kritisch darauf hin, dass staatliche Aktionen „potentially repressive“ (Winter 2019: 17) seien, und das außerdem derartige Eingriffe von den Vereinigten Staaten - wo die meisten Plattformen rechtsextremer Netzwerke, wie 4chan oder Gab, sitzen - zur Zeit nicht zu erwarten seien (vgl. ebd.). Auch ist zu betonen, dass nicht alles was als ‚Hate Speech‛ gilt, justiziabel ist (vgl. Schwarz 2020: 191ff.).

Forderungen an Unternehmen

Ein anderer Rezipient von Forderungen sind die Unternehmen, die soziale Netzwerke betreiben, auf denen Rechtsextreme in Kontakt miteinander treten. Ebner et al. (vgl. 2020: 46) fordern etwa stärkere Zusammenarbeit mit kleineren, alternativen Internetplattformen vonseiten großer Mainstream-Plattformen wie Facebook, um diese bei der Bekämpfung von unerwünschten Inhalten zu unterstützen.

Es gibt auch Kritik an einer wahrgenommenen Überlassung der Verantwortung im Internet an Privatunternehmen, da diese zuallererst an Profiten orientiert seien und daher nicht zwingend ein Interesse an der Bekämpfung von Rechtsextremismus hätten (vgl. Winter 2019: 17). Laut Schwarz (vgl. 2020: 191ff.) sei außerdem die Moderation von Hassrede vonseiten der sozialen Medien intransparent und funktioniere nur mäßig.

Forderungen an die Zivilgesellschaft

Andere Arbeiten sind an die Zivilgesellschaft gerichtet. Julia Ebner et al. (vgl. 2018: 26) fordern etwa eine Zusammenarbeit von „soziale[n] Medien und verschlüsselte[n] Plattformen und Anti-Hass-Initiativen“ (ebd.: 26). Winter, der sowohl staatliche Eingriffe wie auch das Überlassen jeglicher Maßnahmen an Unternehmen ablehnt, sieht in koordinierter antifaschistischer Arbeit und in aktiven Nichtregierungsorganisationen die sinnvollste Möglichkeit, gegen Rechtsextremismus im Netz vorzugehen. Zu ersteren zählt er We Hunted the Mammoth und Whack-a-Mole, letzteres sei ein Programm, welches 400.000 Accounts von Rechtsextremen überwache. Als auf diesem Gebiet aktive Nichtregierungsorganisationen werden die Anti-Defamation League (ADL), das Southern Poverty Law Center (SPLC), das Simon-Wiesenthal-Center (SWC), Political Research Associates (PRA) und Hope Not Hate genannt (vgl. Winter 2019: 17).

Auch Schwarz (vgl. 2020: 191ff.) fordert mehr Zivilcourage, die in ihrer Forderung aber hauptsächlich dem Melden justiziabler Inhalte entspricht.

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