Eine kurze Einleitung in das Wiki
Der Titel des Seminars „Gleicher Lohn oder gleiche Toiletten? Feministische Positionen und Identitätspolitik“ deutet auf die kontroverse Debattenkultur rund um den Begriff der Identitätspolitik hin. Dieses Wiki soll helfen, einen Überblick über die Debatte zu erhalten.
Auf den ersten drei Seiten wird das Buch „Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken“ von Lea Susemichel und Jens Kastner besprochen. Die Autor*innen des Buches schreiben, dass sie herausarbeiten wollen, wo „die jeweilige Kritik tatsächlich berechtigt ist und wo definitiv nicht“. Die übergreifende Frage ist dabei, ob und wie Identitätspolitik als „solidarische linke Praxis“ zu gebrauchen ist. (Susemichel/Kastner 2018: 20) Die erste Seite beschäftigt sich mit den Kapiteln 1-4. In diesen Kapiteln wird die Geschichte der Entstehung und Entwicklung verschiedener Identitätspolitiken rekapituliert, Merkmale für die Unterscheidung rechter und linker Identitätspolitiken festgemacht und Nancy Frasers' Kritik von Identitätspolitik als Mitwirkung zum „progressiven Neoliberalismus“ gekontert. So sei linke Identitätspolitik mehr als nur der Kampf um kulturelle Anerkennung, idealerweise wird die soziale Frage auch mitgedacht. In den Kapiteln 5-8 wird unter anderem die Frage der Sichtbarkeit und Stärkung von marginalisierten Gruppen gestellt oder die Black Liberation Bewegung und ihre identitätspolitischen Bezüge dargestellt. Auch die Diskussion rund um kulturelle Aneignung wird aufgegriffen. In den Kapiteln 9-11 geht es um die Frage des „Wir“ im Feminismus, wenn die Kategorie Frau nicht genügt, um alle mitzudenken. Radikale Solidarität sei die Lösung. Dazu mehr auf der entsprechenden Wiki-Seite. Auf dieser Seite finden sich außerdem Notizen einer „silent discussion“ zu kontroversen Themen wie identitätspolitischer Zensur oder der Frage, ob Identitätspolitik Pseudopolitik sei.
Die folgenden zwei Seiten beschäftigen sich mit der Entwicklung feministischer Strömungen. Auf der ersten Seite zu Feminismus und Postmoderne wird Christina Thürmer-Rohrs Buch „Denken der Differenz. Feminismus und Postmoderne“ vorgestellt, in welchem sie die drei Grundpositionen des Feminismus analysiert: von liberalen über gynozentrischen bis hin zu dekonstruktivistischen und postmodernen Positionenen. Thürmer-Rohr stellt dar, dass heutzutage eine dekonstruktivistische Postition vorherrscht, welche klare Grenzen einer einheitlichen Identität der Frau erschwert. Das Konstrukt Geschlecht wird dekonstruiert. Sie versucht aufzuzeigen, was ein „Denken der Differenz“ fordert. Außerdem wird hier Koschka Linkerhands Buch „Das politische Subjekt Frau. Rehabilitierung eines Kampfbegriffs.“ besprochen, welches sich mit Kritik an Queerfeminismus auseinandersetzt und für eine materialistisch-feministische Herangehensweise plädiert. Auf der folgenden Seite steht Nancy Frasers Analyse des Queerfeminismus im Mittelpunkt. Queerfeminismus gehe laut Fraser eine gefährliche Liaison mit Neoliberalismus ein.
Die nächste Seite betrachtet Geschlecht aus einer soziologischen Perspektive. Hier wird die Konstruktion des Geschlechts aus materialistisch-feministischer, radikal-feministischer und poststrukturalistisch-feministischer Perspektive aufgezeichnet. Die verschiedenen Strömungen und ihre Annahmen und politischen Schwerpunkte werden vorgestellt genauso wie die Kritiken, die z.B. von Radikalfeminist*innen gegenüber post-strukturalistischen Queen-Feminist*innen geäußert werden. Für diese Analysen wird unter anderem Literatur von Judith Butler, Tanja Carstensen und Naida Pintul herangezogen.
Die Seite queer-buchstaben_und_queerfeminismus beschäftigt sich mithilfe der Autor*innen Patsy l’Amour laLove, Koschka Linkerhand und Jan Feddersen eingehend mit Kritik an Queerfeminismus. Patsy l'Amour laLove kritisiert in dem Buch „Beißreflexe“ sehr deutlich autoritäre Tendenzen im aktuellen Queerfeminismus, bei dem „statt Empathie Anprangern und Ausschluss gängige Praxis sind.“ (20) Koschka Linkerhand kritisiert ebenfalls aktuelle Formen des Queerfeminismus und fordert eine Hinwendung zur Theorie sowie Konflikt- und Kompromissfähigkeit. Denn, so Linkerhand, Potenzial habe Queerfeminismus und somit Identitätspolitik in jedem Fall: es könnte gleichermaßen indivduelle Befindlichkeiten und allgemeine gesellschaftliche Fragen mitgedacht werden. Jan Feddersen ist mit seiner Kritik noch verurteilender: Beim Queer-sein gehe es letztendlich um die Frage, wer das größte Opfer ist.
Die nächste Seite diskutiert anhand der Texte von Frank Furedi, Silke van Dyk, Mark Lilla und Volker Weiss universalistische Kritik an Identitätspolitik. Diese Kritik ist folgende: Identitätspolitik tendiere dazu, partikularistisch zu sein, sich in viele, kleine Einzelidentitäten aufzusplitten, und so gemeinsame Aktionen unmöglich zu machen. Die Texte kritisieren identitätspolitische Konstrukte wie safe spaces oder ein Beharren auf „Opferidentitäten“. Im unteren Teil der Wiki-Seite ist auch eine Zusammenfassung der Diskussion um Universalismus und Partikularismus im Seminar dargestellt. Die Leitfrage dieser Diskussion war, ob die als universalistisch deklarierte Meinung nicht letztendlich auch Partikularmeinungen repräsentiert. Der einzige Unterschied wäre dann, dass die als universalistisch angesehene Meinung, die Diskurshoheit besitzt und deshalb Generalansprüche stellen kann.
Die Seite zur Debatte um Klassen- & Identitätspolitik stellt die folgende Frage in den Mittelpunkt: Wird das Thema der Klasse durch einen Fokus auf Identitätspolitik vernachlässigt? Damit einhergehend ist die weit verbreitete Annahme, dass linke Politik unter „oberflächlicher“ Identitätspolitik leidet und damit rechter und populistischer Politik in die Hände spielt. Um die Frage besser beantworten zu können, werden Klassenbegriffe von Marx, Gramsci, Bourdieu und Thompson beleuchtet. Daraufhin werden Texte von Mark Lilla, Lia Becker, Nancy Fraser, Hadija Haruna-Oelker und bell hooks präsentiert. Auf der Wiki-Seite Aufstieg der Rechten. Der autoritäre Charakter und die Kritik der Identitätspolitik wird die Frage, ob linke Identitätspolitik Rechten zur Popularität verhilft, nochmals eingehender beleuchtet. Dabei werden verschiedene Studien dargestellt, deren Ziel ist, herauszufinden, weswegen sich Menschen autoritären, rassistischen oder nationalistischen Bewegungen anschließen. Theodor W. Adorno entwickelte Begründungen dafür, weshalb sich Menschen autoritären Bewegungen zuwenden. Im Wiki wird geprüft, inwieweit aus Adornos Perspektive die Wahlmotive mit der Identitätspolitikkritik hinreichend erklärt werden können oder ob sich abweichende Begründungen ergeben.
Auf den folgenden zwei Wiki-Seiten geht es um Fragen der Positionalität und des Postkolonialismus oder auch: Wer spricht, wer kann sprechen und wer wird wie gehört? Hierzu werden auf der ersten Seite Texte von Hito Steyerl und Fatima El-Tayeb vorgestellt und besprochen. Steyerl leitet Spivaks These ein, dass Subalterne nicht sprechen können. Sie zeigt zudem auf, was Strategien aus diesem Nicht-Sprechen-Können und Nicht-Hören-Wollen sein könnten. El-Tayeb beschreibt vor allem Zustände in Deutschland, zeigt auf, warum Deutschland noch lange nicht post-migrantisch, post-fasischstisch und post-rassistisch ist und erklärt, was getan werden müsste, damit Deutschland diesem Ideal näherkommen kann. Auf der zweiten Seite zum Thema werden erst einmal die Ursprünge, Richtungen und Beispiel von Critical Whiteness Studies dargestellt. Daraufhin werden auch verschiedene Kritiken des Critical Whiteness Ansatz präsentiert, es sei „reine Selbstbeschäftigung“ oder verstärke die Einteilung in feste Kategorien. Folgende Texte stehen im Zentrum der Analyse: „Triggerwarnung! Critical Whiteness und das Ende antirassistischer Bewegung“ von Massimo Perinneli, „Plantation Memories. Episodes Of Everyday Racism“ von Grada Kilomba und „Willkommen im Zeitalter der Postidentitätspolitik“ von Stefan Laurin.
Die letzte Seite stellt vier Strategien vor, welche helfen können, aus der „Sackgasse“ der Identitätspolitik zu entkommen. Bei Strategie 1 geht es um kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus, bei Strategie 2 um die Umwandlung von Betroffenheit in einen mimetischen Moment, Strategie 3 stellt einen 10-Punkte Plan zum richtigen Umgang mit Betroffenheiten, Identitäten und Allianzen vor, und Strategie 4 sieht eine Rückbesinnung auf Gemeinsamkeiten vor. Für die erste Strategie wird Imke Leichts' Buch „Wer findet Gehör? Kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus“ herangezogen. Für die zweite Strategie wird sich auf Charlotte Busch' Text „Mimosen, Mimesis und Mimimi“ bezogen, bei der dritten Strategie dient der 10-Punkte-Plan von Berendsen, Cheema und Mendel als Orientierung. Für die letzte Strategie wird die Untersuchung von Arlie Russell Hochschild herangezogen.
Es erscheint wünschenswert, dass dieses Wiki den Leser*innen ermöglicht, sich einer Definition für Identitätspolitik anzunähern und darüber hinaus, die Debatte rund um Identitätspolitik besser einordnen zu können. Das glorreiche und gemeinsam errungene und beharrlich diskutierte Ergebnis der Abschlusssitzung des Seminars ist der simpel daherkommende Satz: Identitätspolitik ist eine Politik des Kampfes um Anerkennung mit Betroffenheit als Basis.