Harawayanische Zäune | Zum Beispiel Europa ‚Europa‘ kann hier geografisch oder politisch (im Sinne von ‚EU‘) verstanden werden. Diese Offenheit in dem Alltagswort deutet schon an, was für ein Aufwand an mentaler Grenzziehung nötig ist, um ein klar umrissenes Objekt vorstellen zu können. Als Beispiel wurde Europa deshalb herangezogen, weil es eng mit der Vorstellung des ‚Westens‘ verknüpft ist, der eine privilegierte Stellung einnimmt, wenn es darum geht, welchem Wissen Aufmerksamkeit zukommt, und welches ignoriert wird. Siehe dazu auch die Kritik der Black Feminist Epistemology.

Hier trifft sich z.B. der Zaun mit dem Zahn, Das Sprechen in diesem Gedicht ist nicht körperlos, sondern wird von vornherein an einen Ort, ein „hier“ gebunden (siehe dazu auch Situiertes Wissen). Es bleibt aber offen, wo dieses „hier“ ist. In Zusammenhang mit dem Titel könnte Europa gemeint sein, aber auch ein Text Haraways (als Erfahrungsraum), möglich wäre außerdem das „hier“ ganz wörtlich zu verstehen, als Ort des Gedichts in diesem Wiki. Je nachdem, wo die Sprechinstanz von der*m Lesenden verortet wird, ergibt sich eine leicht andere Lesart des Folgenden. Damit versucht das Gedicht, die Relevanz des Sprechorts für Aussagen im Lesen erfahrbar zu machen.
denn „[o]bjects are boundary projects.“ (Haraway, 1988: 595)
So weit so allgemein approved Hier kann das ‚allgemein‘ betont werden. Denn auf einer allgemeinen Ebene scheint die Vorstellung, dass Menschen sich Objekte konstruieren, indem sie Grenzziehungen betreiben (im Sinne von „ein Hocker ist kein Stuhl, weil er keine Lehne hat“), nicht zu umstritten. Jenseits von der abstrakten Ebene verweist diese Aussage Haraways aber auch auf Fragen, die gesellschaftlich heftig diskutiert werden, gerade wenn man berücksichtigt, dass oft auch Menschen die ‚Objekte‘ von wissenschaftlichen Forschungen und Alltagsanschauungen sind. Hier bekommt die Definition von Objekten als „boundary projects“ eine sehr bittere Dimension, weil sie darauf aufmerksam macht, dass die von den Grenzprojekten betroffenen Menschen durch die Objektifizierung umgrenzt und damit in ihren Möglichkeiten eingeengt werden.

wir wissen In einem Wiki zu Positionalität kann ein unkommentiertes „wir wissen“ nur als eine zitierte Floskel erscheinen, die in ihrer Leere Fragen aufwirft - wer ist das „wir“? Woher leitet es sein Wissen ab, und warum wird es nicht begründet? Warum erlaubt es sich einen so lehrenden Tonfall (und die Markierung des eigenen Wissens mit einem Glühbirnensymbol, als ob es für alle anderen gelten würde, dieses ‚Wissen‘ auswendig zu lernen)?
Zähne are bound to be in Mündern Diese Aussage erscheint so selbstverständlich, dass sie ihrerseits den lehrenden Gestus der Glühbirne und der Floskel „wir wissen“ karikiert. Bezieht man aber die Verbindung von Zähnen mit der Subjektposition später im Gedicht schon in diesen Vers mit ein, dann lässt er sich auch als ein Verweis auf die Standpunkttheorie und das Situierte Wissen verstehen.

an welcher Stelle mündet es exakt Knorr-Cetina legt durch ihre Untersuchungen nahe, dass auch die Ergebnisse der Naturwissenschaften, die oft als besonders „exakt“ gelten, von den Untersuchenden beeinflusst werden.
——————————bleibt-offenFeministische Erkenntnistheorien fordern ein dynamisches Konzept von Wissen, bei dem nicht ein bestimmtes Wissen als unveränderliche objektive Wirklichkeit zementiert wird. Aus dem Aufgeben letztgültiger Wahrheiten folgt jedoch nicht, Forschung aufzugeben, sondern vielmehr ein Bewusstsein für den Konstruktionscharakter von Wissen, das mit gesteigerter Reflexion der Bedingungen, Hierarchien und Methoden von Wissenschaft einhergeht. Siehe dazu auch den Abschnitt "Was müssen feministische Epistemologien leisten?".
der Fluss schon geshifted, das :-D Subjekt :-D bezahnt Zähne können aus zwei Gründen als herausragendes Merkmal des Subjekts verstanden werden. Zum einen sind sie wichtige Sprechwerkzeuge, verweisen also darauf, dass das Subjekt die Instanz ist, die sprechen darf und gehört wird. Zum anderen haben Zähne auch eine bedrohliche Dimension (wie in dem Ausdruck ‚Zähne zeigen‘), die der Machtposition des Subjekts entspricht. Durch seine Machtposition wird das Sprechen des Subjekts also besonders geachtet - es hat somit ‚gut Lachen‘.
„[b]ut boundaries shift from within“ (Haraway, 1988: 595)
(von Schifffahrt hier ganz zu schweigen) Die Schifffahrt war zentral für die Bereicherung Europas auf Kosten Afrikas und Südamerikas im Zuge des Kolonialismus, siehe z.B. der transatlantische ‚Handel‘ mit versklavten Menschen.
auch die Grenzen, klar. Lippen hingegen
wären ein Alternativkontakt, weichere
Höhlungsumrandung, healing Hier klingt als eine vorsichtige Utopie eine andere Art von Subjekt-Objekt-Kontakt an, die ohne ‚Zähne zeigen‘ auskommt und wechselseitige Einwirkung erlaubt und berücksichtigt (siehe Kellers Konzept der dynamischen Objektivität).
…………………………………∧„boundaries are [is?] very tricky“ (Haraway, 1988: 595)
der Zaun ein Trick bewachte die town
nach Süden hin zischelnd gespi↓z↓ Dieser Vers spielt darauf an, dass sich ‚town‘ und ‚Zaun‘ einen etymologischen Ursprung teilen. Dass das englische Wort mit einem /t/ beginnt, das deutsche jedoch mit einem /ts/ ist kein Zufall, sondern entspricht einer Veränderung einiger Konsonanten in mittel- und hochdeutschen Dialekten, aus denen später das Standartdeutsch entwickelt wurde. Dieser als ‚zweite Lautverschiebung‘ bezeichneter Wandel hat sich in Abstufungen von Norden nach Süden deutlicher ausgeprägt. Im Zusammenhang mit epistemischen Privilegien und Zäunen ist „Süden“ jedoch auch als globaler Süden lesbar, den sich der globale Norden trotz enger geschichtlicher und gegenwärtiger Verwobenheit durch materielle wie immaterielle Abschottung auf Distanz halten will. Besonders sichtbar wird dieses Bestreben an Zaun- oder Mauerbauprojekten an den Landgrenzen der USA oder der EU, wie z.B. an der polnisch-belarussischen Grenze.
eine Lautverschiebung und schon
ist das Zentrum staketenbese↑z↑
und Kontakt———————— Sache der Zähne, reißen und preisen
verspeisen und preisen reisend ein
subjektiv certainly G®TTgefällig
Zum göttlichen Trick siehe Link. Gott wird hier zudem angesprochen, weil bestimmte gesellschaftliche Streitpunkte (wie Genderkonzeptionen) mitunter mit Verweis auf religiöse Normen geführt werden. Dabei wird „Gott“ nicht selten als eine Instanz konstruiert, die moralische Vorstellungen des jeweiligen Subjekts auf höchster Ebene legitimieren. Durch Argumentationen dieser unantastbaren Art wurde und wird auch extremes Leid noch gerechtfertigt. Siehe zum Beispiel die religiöse Begründung für die Entführung und Misshandlung indigener Kinder in Umerziehungsheimen Nordamerikas bis in die 70er Jahre hinein.
Hier blühen die centers in centuries
und bluten :-x bjektifizierteaus. Sowohl Evelyn Fox Keller als auch Donna Haraway kritisieren die hierarchische Subjekt-Objekt-Beziehung in traditionellen Wissenschaftsverständnissen, die das Objekt als passiv und schweigend vorstellen.

Wären Grenzen nicht „äußerst durchtrieben“ (Haraway, 1995: 96)
ist der Zaun ganz sicher kein Trickster nicht Als „kodierende Tricksterin, mit der uns auszutauschen wir lernen müssen“ (Haraway, 1995: 97) bezeichnet Haraway die Welt allgemein. Damit betont sie, dass die Welt auch in der Forschung nicht als Ansammlung passiver Objekte gedacht werden kann, sondern immer aktivisch in Interaktion mit den Forschenden tritt. Die Figur eines Tricksters entlehnt sie dabei der Mythologie, in der Gestalten als Trickster bezeichnet werden, die die göttliche Ordnung austricksen.
und die Zungen nur diesseit-s—–d-e–r——-Z—äu—-n——e——-. ()
Ein Warnsymbol ist für diese Aussage nur dann nötig, wenn eine Sprechinstanz auf ihre epistemischen Privilegien beharren will und sich von Sprechenden außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts bedroht fühlt. Jenseits von dieser zähneklappernden Haltung kann der Gedanke, dass Grenzen/Zäune alles andere als fest sind, sondern sich wandeln können, und damit auch Stimmen, die bisher ausgegrenzt wurden (siehe marginalisierte Standpunkte), gehört werden, durchaus hoffnungsvoll gelesen werden. Wenn das Subjekt, das sich immer sicher im Diesseits der Grenzen verortet hat, auf diese anderen Stimmen aufmerksam wird, kann es sich entscheiden, zuzuhören, statt ausschließlich selbst zu sprechen: Es erscheinen Lücken im Text, die offen für Anderes sind.


Quellen

  • Ernst, Waltraud 1999. Diskurspiratinnen. Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit verändern. Wien.
  • Hall, Stuart 1996. The West and the Rest. Discourse and Power. In: Modernity. An Introduction to Modern Societies: 185–227.
  • Haraway, Donna 1995. Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel: Die Neuerfin­dung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt/New York: Campus: 73–97.
  • Hill Collins, Patricia 1990. Black feminist thought. Knowledge, consciousness, and the politics of empowerment, New York. Revised Version.
  • Rodney, Walter 1982. How Europe Underdeveloped Africa. Washington DC.
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