Zur Geschichte der extremen Rechten im Netz

Im Folgenden wird zunächst ein Einblick in die Frühgeschichte der Verbindung rechtsextremer Bewegungen zum Internet gegeben, die bis Anfang der 2010er Jahre reicht. Anschließend wird eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse der letzten Jahre gegeben, die die extreme Rechte nicht nur im Internet prägten, sondern auch für das weitere Verständnis der Forschungsarbeiten zu diesem Gebiet relevant sind.

Zur Frühgeschichte der extremen Rechten im Internet (1980 - 2015)

Laut Aaron Winter (2019) begann der Ku-Klux-Klan in den U.S.A. anfang der 1980er Jahre das Internet als einen Rückzugsort frei von jüdischer Kontrolle zu sehen. Der Klan habe schon zuvor, nach einigen Niederlagen infolge der Kulturkämpfe der 1960er Jahre, einen Strategiewechsel hin zur Paramilitarisierung und zur Abkehr vom Mainstream durchgeführt (vgl. Winter 2019: 3). Die U.S.-Amerikanische Rechte nutzte das Internet in ähnlicher Rolle wie zuvor die Post: Um Propagandamaterial, welches in den Staaten legal produziert werden konnte, in Länder mit zensorerischen Gesetzen bezüglich Hassrede oder Volksverhetzung zu exportieren (vgl. ebd.: 1f.). In Deutschland begannen ähnliche Vernetzungen in den 1990er Jahren (vgl. Schwarz 2020: 15).

1995 wurde die erste rechtsextreme Webseite, Stormfront, von Klansmitglied Don Black gegründet. Die Forumsseite ist noch heute aktiv und zählt mehrere hunderttausend registrierte Accounts. 2003 war ein Großteil rechtsextremer Webseiten U.S.-basiert (vgl. Winter 2019: 5ff.).

2003 wurde ebenfalls das Imageboard 4chan gegründet, zur weiteren Geschichte der Chan-Boards und ihrer Kultur siehe: Chan-Boards.

Infolge der Wahl Barack Obamas 2008 kam es zu einem Anstieg von rechtsextremen Aktivismus und Rekrutierung im Netz. 2008 wurde ebenfalls der Terminus Alt Right von Richard Spencer geprägt, der eine neue amerikanische Rechte umfassen sollte, die sich von den etablierten Neokonservativen ebenso wie vom dümmlich-brutalen Image des Neonazis abgrenzen sollte.

Stormfront etablierte 2010 traditionellere mediale Foren, wie etwa ein Radio und jährliche Treffen. Das Forum orderte 2015 seine Mitglieder an, Profanität, rassistische Benennungen, Gewaltandrohungen und Beschreibungen illegaler Aktivität zu unterlassen (vgl. Winter 2019: 8): Die Tendenz ging dahin, wieder in den gesellschaftlichen Mainstream vorzustoßen und damit auch dessen kritischen Blick abzuwehren.

Jüngere Ereignisse seit der Gamergate-Kontroverse (2014 - 2019)

2014 kam es zur antifeministischen, im Internet organisierten Gamergate-Kampagne. Marc Tuters sieht hier den Moment, in dem die verschiedenen Subkulturen der Online-Rechten, in deren Kreisen politisches Engagement zuvor teilweise tabuiert gewesen sei, eine integrierende Praxiserfahrung machten. Die Belästigungskampagne sei weiterhin pionierhaft für eine neue Form rechten Aktivismus, der sich um freie Rede, reaktionäre Identitätspolitik und Netz-Belästigungstaktiken dreht, gewesen, und habe die Idee der ‚Redpill‛ popularisiert (vgl. Tuters 2019: 44).

Aaron Winter (vgl. 2019: 9) spricht von einem Höhepunkt an rechtsextremen Netzwerken, Webseiten, Foren und Blogs im Jahr 2015. Danach verlegte sich der Schwerpunkt auf soziale Netzwerke, deren Entwicklung in einem eigenen Eintrag besprochen wird.

Die Agitprop-Kampagne zur Unterstützung Donald Trumps bei seiner Präsidentschaftskandidatur, die 2016 auf 4chan startete und auf der Forenseite Reddit unter dem Subforum r/The_Donald an Fahrt gewann, wird von ihren ‚Veteranen‛ als Great Meme War (manchmal wird ein ‚first‛ vorangestellt) bezeichnet. Der Einfluss der Kampagne auf die Wahl Trumps lässt sich kaum einschätzen, ebenso wenig wie der Anteil an 4chan-Pionieren, die das Projekt nur zum Spaß in die Wege leiteten, oder aus ideeller Überzeugung daran teilnahmen. Ein Veteran etwa gab Ben Schreckinger gegenüber an, dass ein großer Teil der Agiteure zunächst nur ‚ironisch‛ mitgemacht hätten. Die Alt Right und die Nutzer von r/The_Donald verbuchten die Wahl Donald Trumps als ihren Verdienst (vgl. Schreckinger 2017).

Tim Squirrel (vgl. 2017) stellt die Vermutung auf, dass Trump und r/The_Donald eine integrative Kraft auf sonst disparate Kräfte der U.S.-Rechten auswirkte, sodass Shitposter, Gamer, Männerrechtler und Antifeministen, Anti-Globalisten und White Supremacists zusammenarbeiteten und begannen, eine gemeinsame Lingo zu benutzen – Squirrel betont die Bedeutungsvielfalt des abwertenden Begriffs ‚cuck‛. Seit der Wahl Donald Trumps ist eine Zunahme rassistischer Verbrechen zu verzeichnen, ebenso wie eine Zunahme von Wildplakatierungen und Flyer-Aktionen (insbesondere an Universitäten), die von einigen rechtsextremen Theoretikern als Strategie diskutiert wurden, sowie von öffentlichen Reden an Universitäten (vgl. Winter 2019: 15).

2017 versuchten rechtsextreme Akteure, die Erfolge des Great Meme War auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich sowie auf die Bundestagswahl in Deutschland zu übertragen. Blogger Andrew Auernheimer gab im Vorfeld gegenüber Schreckinger diesbezügliche Pläne an, wobei er sich sehr optimistisch zeigte (vgl. Schreckinger 2017). Laut Julia Ebner et al. (vgl. 2018: 16) wurden ähnliche Kampagnen auch in Österreich und den Niederlanden beobachtet. Zunächst seien diese auf 4chan und 8chan, später in den verschlüsselten Nachrichtenapplikationen Telegram und Discord geplant worden, in Deutschland insbesondere auf den Discord-Kanälen #Infokrieg und Reconquista Germanica (vgl. ebd.). Wenige tausend koordinierte Aktivisten und Aktivistinnen schafften es hierzulande, kurz vor der Wahl sieben ihrer Hashtags unter den Top 20 Hashtags auf Twitter zu platzieren (vgl. ebd.: 17).

Der Unite the Right rally 2017 in Charlottesville wird von mehreren Autorinnen ein hoher Stellenwert zugerechnet. Die Demonstration hatte das Ziel, die Einheit und Stärke der extremen Rechten auch auf der Straße zu demonstrieren (vgl. Winter 2019: 14). Einer der Demonstranten fuhr vorsätzlich in eine Gruppe antifaschistischer Gegendemonstrantinnen, tötete dabei eine Person und verletzte weitere. In Reaktion auf die Gewaltausschreitung entzogen einige Technikunternehmen (Winter nennt Twitter, GoDaddy und Facebook) den teilnehmenden rechtsextremen Gruppen ihre Plattformen (vgl. Winter 2019: 14). Allgemein wird seit 2017 ein härteres Vorgehen von populären Social Media-Plattformen gegen rechtsextreme Inhalte beobachtet, siehe dazu: Soziale Netzwerke. Tuters attestiert, dass die Alt Right nach Unite the Right an Momentum verloren hatte, viele seien von radikalen Positionen abgerückt zugunsten eines moderateren Rechtspopulismus (vgl. Tuters 2019: 38). Tatsächlich distanzierten sich einige Gruppen wie die Proud Boys oder Identity Evropa von Teilen der Alt-Right.

2019 verübte der mutmaßlich im Internet radikalisierte Brenton Tarrant einen Terroranschlag auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch. Diesem Anschlag, seinen Umständen und Folgen ist ein eigenständiger Eintrag gewidmet.

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Zum Literaturverzeichnis

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