Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse des Studienprojekts

Zu Beginn des Studienprojekts wurden in einem Exposé Forschunsfragen aufgeworfen, die die anfolgende Literatursichtung anleiteten. Diese lauteten:

  • Welche Rolle spielen Ironie und Humor für die internetaffinen Elemente der neue Rechte?
  • Gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den Organisationsstrukturen und den Vorgehensweisen, insbesondere in ihrer Nutzung des Internets, der neuen Rechten in den Vereinigten Staaten und in Deutschland? Spiegelt sich ein solcher Unterschied in der Forschung wieder?
  • Wie lässt sich Internetforschung in einem Feld betreiben, in welchem Akteure ihre Aussagen ironisch verkleiden, und womöglich nicht bereit sind mit Forscherinnen zu interagieren?
  • In welchem Rahmen findet Forschung zur extremen Rechten im Internet statt? Wie begründen Forscherinnen die Relevanz ihrer eigenen Arbeit, welche Ziele verfolgen sie und welche Forderungen stellen sie?
  • Welche ethischen Probleme ergeben sich bei der Internetforschung, insbesondere bei Feldern in denen es zu illegalen Handlungen und Äußerungen kommt? Wie können diese gelöst werden, und wie werden sie von Forscherinnen gelöst?

Im Folgenden wird zunächst erneut auf diese Fragen eingegangen, um danach weitere Erkenntnisse zum Themenfeld zu diskutieren. Abschließend werden Überlegungen zu potentiellen Anknüpfungspunkten für die weitere Forschung vorgestellt.

Zur Rolle von Humor und Ironie

Im Exposé wurde Fjodor Dostojewskijs Figur des Fjodor Pawlowitsch als ein Paradebeispiel des Menschen dargestellt, bei dem Schauspiel und Charakter nicht mehr voneinander zu trennen sind: Weder sein Umfeld noch Pawlowitsch selbst können klar unterscheiden, wann er spielt oder wieso er dies tut. In ähnlicher Weise, so wurde dargestellt, findet bei der neuen Rechten, insbesondere bei der Alt Right, eine Verschmelzung von Ironie und Ernst statt: Inhalte werden vornehmlich in humoristischer Form propagiert.

Auch in der gesichteten Forschung wurde die Rolle von Humor für die neue Rechte betont, allerdings wurde diese vornehmlich strategisch eingeordnet: Humor diene vor allem der Immunisierung der eigenen Aussagen (Vgl.: Schwarzenegger / Wagner 2018: 488). Für eine solche kalkulierte Anwendung von Humor spricht auch die Existenz von Memefabriken, die ihre Memeproduktion gewissen Regeln unterordnen - beispielsweise der Auslassung illegalistischer Aussagen (Davey / Ebner 2017: 19ff.) -, dagegen spräche jedoch die scheinbar ungesteuerten Entwicklungen, die Memetrends wie ‚Kekistan‛ nehmen können (vgl. Tuters 2019: 41f.), und die Lustausschüttung, die Memes offenbar auch bei ihren Produzenten bewirken (vgl. Freud 2014 [1905]: 520f.).

Als gesichert kann jedoch gelten, dass Humor fähig ist, gesellschaftliche Tabus und argumentative Kritik zu umschiffen, und somit einen deutlichen Nutzen für die Beförderung rechtsextremer Ideen trägt.

Siehe auch: Die Rolle von Humor.

Verbindungen und Unterschiede zwischen der extremen Rechten in Deutschland und den Vereinigten Staaten

Im Exposé wurde die Hypothese aufgestellt, dass der deutschsprachige Rechtsextremismus auf konventionellere Methoden zurückgreift als der anglophone Rechtsextremismus vor allem in den Vereinigten Staaten. Der englischsprachige Rechtsextremismus sei demnach internetaffiner, dezentralisierter und experimenteller als der Deutschsprachige.

Diese Hypothese hat sich in der Forschungssichtung nicht bestätigt. Gegenteilig hat sich erwiesen, dass in der extremen Rechten organisatorische Verbindungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehen: Exemplarisch ist zu nennen, dass amerikanische Rechtsextreme wie Andrew Auernheimer nach der Wahl Donald Trumps zum U.S.-Präsidenten 2016, die sie als Erfolg ihrer Netzguerillataktiken deuteten, diese Taktiken nach Deutschland und in andere Staaten exportierten (vgl. Schreckinger 2017), wo sich daraufhin Netzwerke wie der Discordkanal Reconquista Germania bildeten, in denen mehrere tausend Akteure diese Taktiken anwandten um in ähnlicher Weise Wahlen zu beeinflussen (vgl. Ebnert et al. 2018: 16).

Wie lässt sich Internetforschung in diesem Feld betreiben?

Es wurden Informationen über einige methodische Ansätze zur Internetforschung eingeholt. In der gesichteten Forschung dominieren jedoch Big Data-Methoden, die auf der Auslesung großer Datenmengen und deren Auswertung mithilfe von Algorithmen basieren, um so die Quantität verschiedener Kodes auf verschiedenen Plattformen zu messen. Außerdem finden Umfragen und Inhaltsanalysen oft Anwendung. Interviewforschung und ethnographische Forschung, die wichtige Einblicke in die Funktion rechtsextremer Netzwerke liefern könnte, fehlt jedoch fast komplett in der gesichteten Literatur. Da dies womöglich schlicht an der begrenzten Literaturmenge, die für dieses Projekt ausgewertet werden konnte, liegt, sollte in Zukunft speziell nach derartigen Forschungsansätzen zu rechtsextremer Internetnutzung Ausschau gehalten werden.

Siehe auch: Methoden.

Wie begründen Forscherinnen die Relevanz ihrer Arbeit, und welche Forderungen stellen sie?

Die Legitimationen, die sich Forschungsprojekte und Arbeiten zur neuen Rechten selbst geben, wurden nicht so weit in die Vergangenheit untersucht, wie im Exposé erhofft wurde. Dafür wurde bereits in den letzten Jahren ein deutlicher Legitimationswandel festgestellt: Wurde um 2017/2018 noch im politischen Islam eine leibliche Gefahr gesehen, dessen Bekämpfung priorisiert wurde, während zeitgleich im Rechtsextremismus vor allem eine Gefahr durch die Verrohung gesamtgesellschaftlicher Debattenkultur gesehen wurde. Mit der Zunahme rechtsterroristischer Anschläge änderte sich dies: Der Rechtsextremismus trat sowohl als körperliche Gefahr wie auch als aktive Gefahr für die bürgerlich-demokratische Ordnung in den Vordergrund.

Die Forderungen, die Forscherinnen aus ihren Arbeiten schließen, richten sich zumeist an die Justiz, an den Gesetzgeber, an für das Internet wichtige Unternehmen oder an die Zivilgesellschaft. Forderungen an staatliche Systeme beinhalten zumeist eine bessere Anpassungsfähigkeit an die neuartigen Tendenzen im Rechtsextremismus, wie dessen Abkehr von organisierten Terrororganisationen und die Hinwendung zu Einzeltätern (vgl. Ebner et al. 2020: 46f.) oder ein Verständnis der Funktion von, und der Kultur auf, sozialen Netzwerken (vgl. Schwarz 2020: 191ff.). 

Es werden aber auch Einschränkungen dieser Forderungen diskutiert: Staatliche Eingriffe können in Repression umschlagen, gleichzeitig sollte das Handlungsfeld nicht Privatunternehmen überlassen werden, die nicht zwingend ein Interesse an der Bekämpfung rechtsextremer Inhalte haben (vgl. Winter 2019: 17). Forderungen an stärkere ‚Zivilcourage‛ sollten sich ebenfalls ihrer Beschränktheit gewahr sein, denn letztlich ist diese nur fähig, entweder strafrechtlich relevante Inhalte zu melden - was nicht für alle rechtsextremen Inhalte gilt, letztlich liefe also auch das auf stärkere Forderungen an die Gesetzgebung hinaus - oder rechtsextremen Netzguerillataktiken, wie der Übernahme von Kommentarspalten und Hashtags, etwas entgegenzusetzen.

Dies mag wertvoll sein, allerdings darf man nicht vergessen, dass alle diese Forderungen auf Symptombekämpfung hinauslaufen. Keine dieser Forderungen zielt darauf ab, die Wurzel des Rechtsextremismus - ob dies nun ein gesellschaftlich verankerter Rassismus, das Kapitalverhältnis oder ein Unbehagen an der Moderne ist, sei dahingestellt - auszumachen und anzugreifen. Lediglich Autorinnen, die den Rechtsextremismus in den Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Kulturkriegs stellen, bieten damit wenigstens einen Versuch zur Erklärung der scheinbaren jüngeren Entwicklungen und Erfolge von Rechtspopulistinnen und -Extremistinnen.

Siehe auch: Legitimationen, Zielsetzungen und Forderungen.

Ethische Probleme bei der Internetforschung

Im ethischen Umgang mit Zitaten wurden teilweise Probleme festgestellt: Screenshots von Kommentaren wurden in manchen Forschungsarbeiten nur unzureichend anonymisiert. Dabei wurde festgestellt, dass rechtsextreme Internet-Gemeinschaften aufgrund ihrer Nähe zur Illegalität eigentlich nach höchsten Maßstäben anonymisiert werden sollten (vgl. Kozinets 2010: 153f.).

Weiterhin fanden sich Hinweise auf eine eigentumsrechtliche Problematik bei der Beforschung sozialer Netzwerke: Unter Umständen dürfen Forscherinnen dort geteilte Inhalte oder Kommentare nicht ohne weiteres replizieren (vgl. ebd.: 150f.). Es konnte hierzu jedoch kein abschließender Befund gefasst werden, weshalb sich eine weitere Einsicht in diese Thematik als nötig erweist.

Siehe auch: Forschungsethik.

Weitere Erkenntnisse

Diese Forschungsfragen rahmten nicht das gesamte Studienprojekt. Stattdessen ergaben sich im Verlauf des Projekts rekurierende Themen, die die Forschung beschäftigen, und zu denen sich einige Beobachtungen machen ließen.

Entwicklung auf den sozialen Netzwerken

Nachdem sich ein Schwerpunkt rechtsextremer Netzwerke auf populären sozialen Medien wie Facebook, YouTube und Twitter bildete (vgl. Winter 2019: 9), reagierten in den letzten Jahren, katalysiert durch rechtsextreme Gewaltausschreitungen und Terroranschläge, die betreibenden Unternehmen, indem sie ihre Bemühungen zur Unterdrückung von Hassrede und Volksverhetzung verstärkten (vgl. Ebner et al. 2020: 7; DFR Lab 2017). In Reaktion auf diese von Rechts als Zensur kritisierten Maßnahmen bildeten sich eine Reihe alternativer, dem Anspruch nach libertäre, Plattformen, auf denen zumeist laxere Moderationsregeln gelten (vgl. Ebner et al. 2020: 20; DFR Lab 2017).

Siehe auch: Soziale Netzwerke.

Integrationspotential

Der neuen Rechten wird oftmals die Fähigkeit zur Integration vieler disparater rechter Bewegungen zugeschrieben. Es gibt zwei Erklärungsansätze für dieses Integrationspotential: Die Mehrheit der Forscherinnen argumentiert, dass es sich über gemeinsame Feindbilder realisiere, wobei umstritten ist, ob Migration, der Islam oder die politische Linke hier die größte Rolle als geteiltes Negativ spielt (vgl. Davey / Ebner 2017: 25ff.; Froio / Bharath 2019: 98ff.; Ebner et al. 2020: 26ff.; Merelli 2017; Nagle 2017: 21;). Dafür, dass die Linke, beziehungsweise für eine von rechten Akteuren wahrgenommene, von der Linken ausgehenden kulturellen Hegemonie, den Hauptfeind darstellt, sprechen auch die Überlegungen zu einem Kulturkrieg zwischen Linken und Rechten, die Autorinnen wie Angela Nagle aufstellen.

Der andere Erklärungsansatz stellt bestimmte Aktionen und Kampagnen als integrative Praxiserfahrungen heraus, an denen sich rechtsextreme Akteure erfolgreich in der Überbrückung ihrer Differenzen übten (vgl. Squirrell 2017; Tuters 2019: 44). Demnach wären diese Praxiserfahrungen nicht erst Ausdruck einer vorangegangenen Integration, sondern selbst konstituierend für ein geeinteres Verständnis der eigenen Bewegung in der neuen Rechten.

Siehe auch: Integration disparater Bewegungen.

(Paradoxe) Strategien

Für den Erfolg dieser Integration spricht auch die Polarität neurechter politischer Strategien: Einerseits sind Akteure auf die Übernahme gesellschaftlicher Hegemonie ausgerichtet, wozu neue Radikalisierungs- und Rekrutierungsmethoden und ein legalistisches und intellektuelles Image bemüht werden. Andererseits spielt paradoxerweise gesellschaftliche Polarisierung eine wichtige Rolle bei dieser Hegemonieübernahme: Durch provokative Aktionen und Aussagen soll der ‚Rahmen des Sagbaren‛ nach rechts verschoben werden, und von einer zunehmenden gesellschaftlichen Spannung (etwa durch steigende Kriminalitätsraten) erhofft man sich ein verstärktes Rekrutierungspotential (vgl. Ebner / Köhler 2018: 21). Stellenweise führt die Widersprüchlichkeit dieses Ansatzes auch zu Rissen: Manche Bewegungen, wie die Boogaloo Boys, treten bereits offen akzelerationistisch und insurrektionär auf, während andere, wie Identity Evropa oder die Proud Boys, sich verstärkt von ihren provokanteren Kameraden distanzieren.

Siehe auch: Strategien der neuen Rechten.

Radikalisierung

In den eigenen Radikalisierungsnarrativen von Rechtsextremen spielt das Internet oft eine wichtige Rolle (vgl. Evans 2018; Southern Poverty Law Center 2014; Winter 2019: 12f.), und sozialen Netzwerken wurde immer wieder die Beförderung von Radikalisierung vorgeworfen (vgl. Munn 2019; Kaderbhai / Meleagrou-Hitchens 2017). In der gesichteten Forschung wurde jedoch auch festgestellt, dass das Internet nur selten allein die Radikalisierung bewirke (vgl. Schlegel 2018: 1). Dem entspricht dass in vielen Radikalisierungsnarrativen angedeutet ist, dass die Akteure bereits vor ihrer Radikalisierung zumindest Sympathien für rechtsextremes Gedankengut hegten. Man sollte es daher nicht als Radikalisierungsquelle überschätzen und den Fehler begehen, andere Netzwerke die bei Radikalisierungen eine Rolle spielen, wie etwa Familien- und Freundeskreise, zu vergessen.

Siehe auch: Pipelines, Blasen, Radikalisierung.

Fazit: Anknüpfungspunkte

Damit wären einige Stellen markiert, an denen zukünftige Arbeiten anknüpfen können. Ein mögliches Feld wäre der herausgestellte Strategiedualismus: Wo geraten die Strategien der Hegemonisierung und der Polarisierung in Konflikt, wie können rechte Bewegungen sie - zumindest temporär - synthetisieren? Diese Strategien in weiteren Kontext einordnend, ließe sich untersuchen, auf wen sie gerichtet sind, wer also überzeugt werden soll und gegen wen Spannung erzeugt werden soll. Wie herausgestellt wurde stellen gemeinsame Feindbilder einen wichtigen Integrationsfaktor für eine geeinte extreme Rechte dar, wobei nicht eindeutig wurde, welches Feindbild das ‚wichtigste‛ ist. Es ist also Erkärungsbedürftig, welche Rollen verschiedene Feindbilder für rechtsextreme Bewegungen spielen, und wo hier Disparitäten und Gemeinsamkeiten zu finden sind.

Dem Theoretiker Karl Polanyi zufolge ist der Faschismus im Kern eine Antiindividualistische Bewegung, da seine hauptsächlichen Feindbilder, die Demokratie, der Sozialismus und das Christentum, allesamt auf einem individualistischen Weltbild basierten (vgl. Dale / Desan 2019: 143). Ob dies heute noch für die neue Rechte gilt, ist fraglich. Wie herausgestellt wurde, sind die hauptsächlichen Feindbilder, die zugleich den kleinsten gemeinsamen Nenner verschiedener disparater Bewegungen bilden, der Islam, Migration und die politische Linke. Ob der Islam als individualistische Religion beschrieben werden kann, soll hier nicht beantwortet werden, allerdings dominiert meines Erachtens in rechten, antiislamischen Kreisen ein kollektivistisches Bild der mit dem Islam assoziierten Kultur: Großfamilien, Unterwerfung unter die Umma und ein hoher Stellenwert familiärer Ehre bestimmen dieses Bild. In ähnlicher Weise scheint mir die Linke ebenfalls als kollektivistische Bewegung konstruiert zu werden, dafür sprechen zumindest die Selbstdarstellungen der Alt Right und Alt Light als gegenkulturelle, die freie Rede verteidigende und die kulturelle Hegemonie herausfordernde Bewegungen. Folglich müsste man fragen – sofern man davon ausgeht, dass Polanyi in seinen Beurteilungen des Faschismus Recht hatte – ob die extreme Rechte seither eine Form der individualistischen Idee integrieren konnte.

Humor wurde als wichtiges Werkzeug der neuen Rechten zur Immunisierung der eigenen Propaganda erkannt, jedoch fehlen hier noch empirische Arbeiten zur Bedeutung von Humor für individuelle Akteure. Es ist jedoch klar, dass Humor eine Rolle bei deren Radikalisierung spielen kann, und Sigmund Freuds Theorie des Witzes bietet einen theoretischen Ansatz zur Lustproduktion durch Humor. Diese Erkenntnisse ließen sich mit Arbeiten zur Entwicklung der Kultur auf rechtsextremen Plattformen zusammenführen, um in einer Art Kulturgeschichte rechtsextremen Humors dessen jüngeren Erfolg erkären zu versuchen.

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Zum Literaturverzeichnis

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